Das Vermächtnis von Erdsee
weggelassen, wie einen Anfänger oder ein Zauberweib? Eine Kraft wie die seine musste in die rechten Bahnen gelenkt werden und ein Zeichen tragen.
Mein Lehrmeister hatte keinen Stab, dachte Dulse, und im selben Augenblick dachte er: Er will seinen Stab von mir. Gontische Eiche aus den Händen eines gonti-sehen Zauberers. Nun, wenn er es verdient, werde ich ihm einen machen. Wenn er den Mund halten kann. Und ich werde ihm meine Bücher überlassen. Wenn er einen Hühnerstall ausmisten, die Kommentare von Danemar verstehen und seinen Mund halten kann.
Der neue Schüler mistete den Hühnerstall aus und hackte das Bohnenbeet, lernte die Bedeutung der Kommentare von Danemer und die Geheimnisse von Enlad und er hielt den Mund. Er hörte zu. Er hörte, was Dulse sagte; manchmal hörte er, was Dulse dachte. Er tat, was Dulse wollte, und er tat, was Dulse wollte, ohne zu wissen, dass er es wollte. Seine Begabung überstieg Dulses Führung bei weitem, und doch hatte er gut daran getan, nach Re Albi zu kommen, und beide wussten sie es.
In jenen Jahren dachte Dulse manchmal über Väter und Söhne nach. Er hatte sich mit seinem eigenen Vater, einem Zauberer-Anwärter, wegen der Wahl seines Lehrmeisters zerstritten; sein Vater hatte gebrüllt, als Schüler von Ard sei er nicht länger sein Sohn, hatte seinen Ärger immer wieder geschürt und war unversöhnt gestorben. Dulse hatte junge Männer bei der Geburt ihres ersten Sohnes vor Freude weinen sehen. Er hatte arme Männer gesehen, die Hexen für das Versprechen eines gesunden Jungen den Verdienst eines ganzen Jahres gaben, und einen reichen Mann, der das mit Gold herausgeputzte Kindergesichtchen berührte und ehrfürchtig flüsterte: »Meine Unsterblichkeit!« Er hatte Männer ihre Söhne schlagen, sie schikanieren und erniedrigen, sie quälen und in allem behindern sehen, aus Hass auf den Tod, den sie in ihnen erblickten. In den Augen der Söhne hatte er die Erwiderung dieses Hasses gesehen, die Drohung, die gnadenlose Verachtung. Und als er sich dessen gewahr geworden war, wusste er, warum er nie eine Versöhnung mit seinem Vater gesucht hatte. Er hatte einen Vater und einen Sohn von Morgengrauen bis Sonnenuntergang gemeinsam arbeiten sehen, der alte Mann führte einen blinden Ochsen, der Mann in mittleren Jahren führte den Pflug mit der eisernen Schar, kein Wort fiel zwischen den beiden; aber als sie sich auf den Heimweg machten, legte der alte Mann einen Augenblick lang seine Hand auf die Schulter des Sohnes. In dieser Berührung hatte Dulse erkannt, was in seinem Leben fehlte. Er erinnerte sich daran, wenn er über die Feuerstelle schaute, an Winterabenden, das dunkle Gesicht über Lehrbücher gebeugt oder über ein Hemd, das geflickt werden musste. Die Augen gesenkt, den Mund geschlossen, im Geist lauschend.
»Einmal im Leben findet ein Zauberer, wenn er Glück hat, jemanden, mit dem er reden kann«, hatte Nemmerle gesagt, ein oder zwei Nächte bevor er Rok verlassen hatte, ein Jahr oder zwei bevor Nemmerle zum Erzmagier gewählt wurde. Er war es, der ihn am stärksten geprägt hatte, und er war auch der freundlichste von Dulses Lehrern an der Schule gewesen. »Ich glaube, wenn du bleiben würdest, Heleth, könnten wir miteinander reden.«
Eine Weile hatte Dulse überhaupt nichts darauf sagen können. Dann hatte er stotternd geantwortet, voller Schuldgefühl wegen seines Undanks und erstaunt über seinen Eigenwillen: »Meister, ich bliebe ja gern, aber meine Arbeit ist auf Gont. Ich würde mir wünschen, dass sie hier wäre, bei Euch...«
»Es ist eine seltene Gabe zu wissen, wo man hingehört, bevor man überallhin gekommen ist, wo man nicht hingehört. Nun, schick mir einen Schüler, von Zeit zu Zeit. Rok braucht gontische Zauberei. Ich glaube, wir hier lassen so manche Dinge aus. Dinge, die es wert wären, gewusst zu werden...«
Dulse hatte Schüler in die Schule geschickt, drei oder vier, brave Kerle mit einer Begabung für dies oder das; doch der eine, auf den Nemmerle wartete, war aus freien Stücken gekommen und wieder gegangen, und was sie auf Rok von ihm dachten, wusste Dulse nicht. Der Schweigsame sprach nicht darüber. Er hatte dort in zwei oder drei Jahren gelernt, was manche Jungen in sechs oder sieben Jahren lernten oder überhaupt nie; für ihn aber war dies nur der Grundstock gewesen.
»Warum bist du nicht erst zu mir gekommen?«, fragte Dulse ihn. »Und anschließend nach Rok gegangen, um den letzten Schliff zu bekommen?«
»Ich wollte Eure Zeit
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