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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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Ochsengespann. Er verlegte den Boden und versiegelte ihn am folgenden Tag, während der alte Zauberer oben am Bogsee Heilkräuter sammelte. Da lag er, als Dulse nach Hause kam, schimmernd wie ein dunkler See. »Jedes Mal, wenn ich hereinkomme, muss ich mir die Füße waschen«, maulte er. Behutsam trat er ein. Das Holz war so glatt, dass es sich unter den nackten Sohlen weich anfühlte. »Satin«, sagte er. »Das hast du nicht alles an einem Tag geschafft ohne einen oder zwei Zaubersprüche. Eine Dorfhütte mit einem Fußboden wie ein Palast. Das wird ein Anblick sein, wenn sich im Winter der Feuerschein darin spiegelt! Oder muss ich mir jetzt einen Teppich kaufen? Schaffell auf goldenem Grund?«
    Der Schweigsame lächelte. Er war zufrieden mit sich.
    Vor ein paar Jahren hatte er vor Dulses Haustür gestanden. Nun ja, eigentlich musste es zwanzig Jahre her sein - oder fünfundzwanzig. Schon eine Weile her jetzt. Damals war er wirklich noch ein Junge gewesen, mit langen Beinen, struppigem Haar und glattem Gesicht. Entschlossener Mund, helle Augen...
    »Was willst du?«, fragte der Zauberer, obwohl er wusste, was er wollte. Was sie alle wollten, und er hütete sich, in diese hellen Augen zu schauen. Er war ein guter Lehrmeister, der beste auf Gont, das wussten alle. Aber er war es müde zu unterrichten und er wollte nicht noch einen Lehrling um sich haben; er witterte Gefahr.
    »Lernen«, flüsterte der Junge.
    »Geh nach Rok«, sagte der Zauberer. Der Junge trug Schuhe und eine gute Lederweste. Er konnte sich die Schiffsüberfahrt zur Schule leisten oder sie sich verdienen.
    »Dort bin ich gewesen.«
    Darauf musterte Dulse ihn noch einmal. Kein Umhang, kein Stab.
    »Durchgefallen? Hinausgeworfen? Durchgebrannt?«
    Bei jeder Frage schüttelte der Junge den Kopf. Er schloss die Augen; sein Mund war schon geschlossen. Da stand er, ganz in sich gekehrt, leidend: holte tief Luft, sah dem Zauberer unverwandt in die Augen.
    »Meine Meisterschaft ist hier auf Gont«, sagte er, seine Stimme immer noch kaum mehr als ein Flüstern. »Mein Meister ist Heleth.«
    Darauf stand der Zauberer, dessen wahrer Name Heleth war, so still wie er und erwiderte seinen Blick, bis der Junge die Augen niederschlug.
    Im Stillen suchte Dulse nach seinem Namen und sah zwei Dinge: den Kegel einer Tanne und die Rune des geschlossenen Mundes. Als er weiter suchte, hörte er im Geist einen gesprochenen Namen; aber nicht er sprach ihn aus.
    »Ich bin müde vom Lehren und Sprechen«, sagte er. »Ich brauche Ruhe. Genügt dir das?«
    Der Junge nickte einmal.
    »Dann wirst du für mich der Schweigsame sein«, sagte der Zauberer. »Du kannst in dem Winkel unter dem Westfenster schlafen. In der Holzhütte steht eine alte Pritsche. Lüfte sie gut. Bring mir ja keine Mäuse ins Haus.« Und er stapfte davon in Richtung Oberfell, verärgert über den Jungen, dass er gekommen war, und über sich selbst, dass er nachgegeben hatte; aber nicht vor Ärger pochte sein Herz. Kräftig ausschreitend - damals konnte er ausschreiten während der Seewind wie immer von links blies und das frühe Sonnenlicht jenseits der dunklen Schatten der Berge auf dem Meer lag, dachte er an die Magier von Rok, die Meister in den magischen Künsten, die Professoren von Geheimnis und Macht. Er war zu viel für sie, nicht wahr? Und er wird auch für mich zu viel sein, dachte er und lächelte. Er war ein friedliebender Mensch, aber Gefahr machte ihm überhaupt nichts aus.
    Er blieb stehen und spürte die Erde unter den Füßen. Er war barfuß, wie üblich. Als Schüler in Rok hatte er Schuhe getragen. Aber er war wieder nach Hause gekommen, nach Gont, nach Re Albi und zu seinem Zauberstab und hatte die Schuhe in die Ecke geworfen. Er blieb stehen und spürte den Staub und die Felsen des Klippenpfads unter den Füßen und die Klippen darunter, und die Wurzeln der Insel noch tiefer, in der Dunkelheit. In der Dunkelheit unter dem Wasser berührten die Inseln einander und waren eins. So hatte sein Lehrmeister Ard gesagt und so hatte sein Lehrmeister in Rok gesagt. Doch dies war seine Insel, sein Felsen, sein Staub und seine Erde. Sein Magiertum erwuchs daraus. »Meine Meisterschaft ist hier«, hatte der Junge gesagt, doch es reichte tiefer als Meisterschaft. Das konnte Dulse ihm vielleicht beibringen: was tiefer reichte als Meisterschaft. Was er hier gelernt hatte, auf Gont, lange bevor er nach Rok ging.
    Und der Junge musste einen Stab haben. Warum hatte ihn Nemmerle ohne einen solchen von Rok

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