Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
Vom Netzwerk:
von ihm reden hörte als Diamant, dem begnadeten Sänger West-Havnors, Diamant, der für die hohen Herrn im Schwerterturm die Harfe gespielt und gesungen hatte, wurde ihr leichter ums Herz. Und einmal, als Golden unten am Südhafen war, nahmen sie und Farwerran einen Eselskarren und fuhren hinüber zu den Osthügeln, wo sie Diamant die Ballade von der verlorenen Königin vortragen hörten, während Rose bei ihnen saß und die kleine Tuly auf Tulys Schoß saß. Und wenn auch kein gutes Ende, so war es doch eine echte Freude, was vielleicht alles in allem das Äußerste ist, was man verlangen kann.

Die G ebeine der Erde
     
    Es regnete wieder, und der Zauberer von Re Albi war in Versuchung, einen Regenzauber zu wirken, nur einen ganz kleinen Zauber, um den Regen weiterzuschicken, hinter die Berge. Seine Knochen schmerzten. Schmerzten, weil sie nach Sonnenschein lechzten und danach, von ihm durchgewärmt zu werden. Natürlich konnte er eine Zauberformel gegen Schmerzen sprechen, aber das würde nicht mehr bewirken, als den Schmerz für ein Weilchen im Hintergrund zu halten. Es gab kein Heilmittel gegen seine Plagen. Alte Knochen brauchen Sonne. Reglos stand der Zauberer in der Tür seines Hauses, zwischen dem dunklen Raum hinter ihm und der von Regenfäden durchzogenen Luft, hinderte sich daran, einen Zauber zu wirken, und war ärgerlich auf sich selbst, weil er sich daran hinderte und weil er daran gehindert werden musste.
    Er fluchte nie - Menschen der Macht fluchen nicht, das ist zu riskant -, aber er räusperte sich mit einem keuchenden Gebrumm, wie ein Bär. Einen Augenblick später rollte von den höher gelegenen Hängen der Berge von Gont ein Donner und sein Echo tönte von Norden nach Süden und verhallte in den von Wolken verhangenen Wäldern.
    Ein gutes Zeichen, der Donner, dachte Dulse. Es würde bald aufhören zu regnen. Er zog seine Kapuze über und ging in den Regen hinaus, um die Hühner zu füttern.
    Er sah im Hühnerstall nach und fand drei Eier. Rotbacke brütete gerade, die Küken würden bald schlüpfen. Rotbacke hatte Würmer, sie sah zerrupft und mitgenommen aus. Er sprach ein paar Worte gegen die Würmer und nahm sich vor, die Niststelle sauber zu machen, sobald die Küken geschlüpft waren. Dann ging er weiter zum Hühnerhof, wo Braunbacke, Graugefieder, Gamasche, Tugend und der König sich unter das Vordach duckten und leise giftige Bemerkungen über den Regen ausstießen.
    »Zu Mittag hört es auf«, sagte der Magier zu den Hühnern. Er fütterte sie und watete mit drei warmen Eiern in der Hand zum Haus zurück. Als Kind war er gern durch Schlamm gelaufen. Er erinnerte sich, wie er es genossen hatte, wenn er kühl zwischen den Zehen heraufquoll. Er ging immer noch gern barfuß, aber er hatte keinen Spaß mehr an Schlamm; das war schmieriges Zeug, und er mochte es nicht, wenn er sich, bevor er ins Haus trat, bücken musste, um die Füße sauber zu machen. Als er noch einen Lehmboden hatte, da hatte das nichts ausgemacht, doch jetzt hatte er einen Holzfußboden wie ein feiner Herr, ein reicher Kaufmann oder ein Erzmagier. Um Kälte und Feuchtigkeit von den Knochen fern zu halten. Nicht seine eigene Idee. Der Schweigsame war letzten Frühling von Gonthafen heraufgekommen, um in dem alten Haus einen Boden zu verlegen. Sie hatten einen ihrer Dispute deswegen gehabt. Nach all den Jahren hätte er klug genug sein sollen, nicht mit dem Schweigsamen zu streiten...
    »Fünfundsiebzig Jahre lang bin ich über Lehmboden gelaufen«, sagte Dulse. »Ein paar Jahre mehr bringen mich auch nicht um!«
    Worauf der Schweigsame natürlich nichts antwortete, weshalb er noch einmal hören musste, was er gesagt hatte, und deutlich spürte, wie dumm seine Bemerkung gewesen war.
    »Lehm ist leichter sauber zu halten«, hielt er dagegen und wusste sofort, dass der Kampf bereits verloren war. Es stimmte: Einen guten, fest gestampften Lehmboden musste man nur fegen und anschließend feucht be-sprengen, damit der Staub liegen blieb. Trotzdem klang es dumm.
    »Wer soll diesen Boden verlegen?«, fragte er, jetzt nur noch missmutig.
    Der Schweigsame nickte, womit er sich selbst meinte.
    Tatsächlich war der Junge ein erstklassiger Handwerker, Zimmermann, Möbelschreiner, Fliesenleger, Dachdecker; er hatte es bewiesen, als er als Dulses Lehrling hier oben gelebt hatte. Und sein Leben unter den reichen Leuten in Gonthafen hatte ihn nicht verzärtelt. Die Bretter holte er von der Sechsermühle in Re Albi und nahm dafür Gammers

Weitere Kostenlose Bücher