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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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Zaubertricks verfügte. So wirkte er jedenfalls. Was aber, wenn er sich verstellte, seine Macht verbarg, ein Rivale, der seine Macht nicht zur Schau stellte? Ein eifersüchtiger, missgünstiger Rivale. Man musste ihn aufhalten, ihn binden, bei seinem Namen nennen.
    Irioth begann die Worte zu sprechen, die ihn binden würden, und der zitternde Mann duckte sich, schrumpfte zusammen und wurde runzlig, jaulte auf in einem dünnen, hohen Gewimmer. Es ist falsch, falsch, ich tue das Falsche, ich bin der Kranke, dachte Irioth. Er hielt die Worte zurück, bekämpfte sie und stieß zuletzt ein anderes Wort aus. Ayeth kauerte da, zitternd und speiend, und San starrte ihn an und versuchte zu sagen: »Bewahre! Bewahre!« Es war kein Leid geschehen. Aber Feuer brannte in seinen Händen, brannte seine Zunge weg, wenn er versuchte zu sprechen.
     
    Lange Zeit rührte ihn keiner an. Wie vom Schlag getroffen, war er auf Sans Schwelle zusammengebrochen. Da lag er nun wie ein Toter. Doch der Heiler aus dem Süden sagte, er sei nicht tot und er sei gefährlich wie eine Schlange. San erzählte, wie Otak Sonnenschein durch einen Zauber gebannt und ein paar fürchterliche Worte gesprochen hatte, die ihn kleiner und kleiner hatten werden lassen und machten, dass er winselte wie ein Holzscheit im Feuer, und dann auf einmal war er wieder in sich zurückgekehrt, aber elend und übel zugerichtet wie ein Hund, und währenddessen hatte um den anderen ein Licht geglüht, wie flackerndes Feuer und tanzende Schatten, und diese Stimme war erklungen, die nichts Menschliches an sich gehabt hatte. Schauerlich.
    Sonnenschein sagte ihnen allen, sie sollten Zusehen, dass sie den Kerl loswürden, er selbst würde das aber gewiss nicht abwarten. Er schlug wieder die Straße nach Süden ein, nachdem er im Wirtshaus einen Humpen Bier hinuntergekippt und ihnen gesagt hatte, dass in einem Dorf kein Platz sei für zwei Zauberer und er gern wiederkäme, vielleicht, wenn dieser Mann oder was immer er war, fort war.
    Keiner rührte ihn an. Aus der Entfernung starrten sie auf dieses Häuflein, das da auf der Schwelle zu Sans Haus lag. Sans Frau lief laut weinend die Straße auf und ab. »Böser Zauber lass ab! Böser Zauber lass ab!«, heulte sie. »Oh, mein Kind wird tot zur Welt kommen, ich weiß es!«
    Berry ging und holte seine Schwester, nachdem er Sonnenscheins Erzählung im Wirtshaus vernommen hatte und Sans Version und verschiedene andere Versionen noch dazu, die bereits im Umlauf waren. In der besten davon war Otak auf zehn Fuß hoch angewachsen und hatte Sonnenschein mit einem Blitz in ein Klümpchen Kohle verwandelt, bevor ihm Schaum vor den Mund trat, er blau anlief und zu einem Häuflein zusammensank.
    Gabe eilte ins Dorf. Sie ging geradewegs auf die Schwelle zu, beugte sich über das Häuflein und legte ihm ihre Hand auf. Alle ringsum schnaubten und murrten: »Bewahre! Bewahre!«, mit Ausnahme von Lohes jüngster Tochter, die die Zeichen missverstand und quäkte: »Mach schnell, mach schnell!«
    Das Häuflein bewegte sich und erhob sich langsam. Sie sahen, dass es der Heiler war, so wie er immer gewesen war, ohne Feuer oder Schatten, bloß sah er sehr krank aus. »Kommt mit«, sagte Gabe, half ihm auf die Beine und ging langsam mit ihm die Straße hinauf.
    Die Dorfbewohner schüttelten die Köpfe. Gabe hatte gewiss ein gutes Herz, aber man konnte es auch übertreiben. Oder, hieß es am Wirtshaustisch, sein Herz an die falsche Sache hängen oder gar an den Falschen, nicht wahr? Man sollte sich nicht auf die Zauberei einlassen, wenn man nicht dazu geboren ist. Nicht auf Zauberer. Vergesst das nicht. Sie sehen aus wie andere Menschen auch. Aber sie sind nicht wie andere Menschen. Es kommt einem zwar so vor, als wäre nichts Böses an einem Heiler. Heilt die Maul-und Klauenseuche, reinigt ein verklebtes Euter. Alles schön und gut. Aber dann läufst du einem über den Weg und schon geht's los, Feuer und Schatten und Flüche und auf der Stelle wie tot umfallen. Unheimlich. War schon immer unheimlich, der da. Wo kommt der überhaupt her? Das soll mir doch mal einer sagen.
     
    Sie legte ihn auf sein Bett, zog ihm die Schuhe aus und ließ ihn schlafen. Berry kam spät nach Hause und war betrunkener denn je, sodass er hinfiel und mit der Stirn gegen den Kaminbock schlug. Blutend und rasend befahl er Gabe, den Schauberer raschuschmeischen, einfach raus, rauschmeischen. Dann erbrach er sich in die Asche und schlief am Herd ein. Sie schleifte ihn zu seinem

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