Das Vermächtnis von Erdsee
San, seine Frau und die Wirtshausrunde gaben keine Ruhe, zumal das außer dem Rindersterben für den Rest des Winters der einzige ergiebige Gesprächsstoff war. »Im Übrigen«, sagte Lohe, »ist mein Mann nie abgeneigt, mit Kupfer zu bezahlen, wo er meint, es müsse ihn eigentlich Elfenbein kosten.«
»Sind die Rinder, die er berührt hat, denn wohlauf?«
»Soweit wir sehen können, ja. Und keine neuen Krankheitsfälle.«
»Er ist ein echter Zauberer, Lohe«, sagte Gabe sehr ernst. »Ich weiß das.«
»Das ist ja das Schlimme, meine Liebe«, erwiderte Lohe. »Und du weißt das! Das hier ist kein Ort für einen Mann wie ihn. Wer immer er ist, das geht uns nichts an. Aber warum ist er hierher gekommen? Das ist es, was du ihn fragen musst.«
»Um die Tiere zu behandeln«, antwortete Gabe.
Sonnenschein war noch keine drei Tage fort, als ein anderer Fremder in der Stadt auftauchte. Der Mann kam die Straße von Süden herauf und fragte nach dem Gasthof wegen einer Unterkunft. Man schickte ihn zu San, aber Sans Frau kreischte auf, als sie hörte, dass ein Fremder an der Tür war, und sie schrie, wenn San noch einen Zauberer hereinließe, dann würde ihr Kind zweimal tot zur Welt kommen. Man konnte ihr Geschrei über mehrere Häuser hinweg straßauf und straßab hören, und eine Menge, das heißt zehn oder elf Leute, lief zwischen Sans Haus und dem Wirtshaus zusammen.
»Nun, das wird nicht gehen«, sagte der Fremde freundlich. »Ich kann keine verfrühte Geburt herbeiführen. Gibt es vielleicht im Wirtshaus ein Zimmer?«
»Schickt ihn hinaus zur Molkerei«, brummte einer von Alders Viehhütern. »Gabe nimmt, was immer da kommt.« Und es gab ein Gekicher und Getuschel.
»Auf diesem Weg zurück«, rief der Wirt.
»Danke«, sagte der Reisende und lenkte sein Pferd auf den Weg, den sie ihm wiesen.
»Alle Fremden auf einen Haufen«, meinte der Wirt, und das wurde an diesem Abend im Wirtshaus noch mehrere Dutzend Mal wiederholt, ein unerschöpflicher Quell allgemeiner Erheiterung, das Beste, was je gesagt worden war, seit Ausbruch der Seuche.
Gabe war in der Molkerei, sie war mit der Abendmilch fertig. Sie seihte die Milch gerade ab und verteilte sie auf die Pfannen. »Mistress«, ertönte eine Stimme an der Tür, und sie dachte, es sei der Heiler, und antwortete: »Nur einen Augenblick, bis ich hiermit fertig bin«, doch als sie sich umwandte, sah sie den Fremden und hätte fast die Pfanne fallen lassen. »Oh, habt Ihr mich erschreckt!«, rief sie. »Was kann ich für Euch tun?«
»Ich bin auf der Suche nach einem Bett für diese Nacht.«
»Nein, es tut mir Leid, hier wohnen schon mein Mieter, mein Bruder und ich. Vielleicht San im Dorf...«
»Die haben mich hierher geschickt. Sie haben gemeint: >Alle Fremden auf einen Haufen<«, sagte der Fremde. Er war um die dreißig, hatte ein offenes Gesicht und angenehmes Äußeres, war einfach gekleidet, und das kleine Pferd, das hinter ihm stand, war ein gutes Pferd. »Bringt mich im Kuhstall unter, Frau, das ist mir recht. Mein
Pferd braucht einen guten Schlafplatz, es ist sehr müde. Ich schlafe im Stall und am Morgen bin ich weg. Es ist ein Vergnügen, in kalten Nächten bei den Kühen zu schlafen. Ich würde Euch gern dafür bezahlen, wenn zwei Kupfergroschen genug sind. Mein Name ist Falke.«
»Ich heiße Gabe«, sagte sie etwas nervös, aber sie mochte den Kerl. »Also gut, Meister Falke. Bringt Euer Pferd in den Stall und versorgt es. Da ist eine Pumpe und jede Menge Hafer. Danach kommt ins Haus. Ich kann Euch etwas Milch und Suppe geben und ein Groschen ist mehr als genug, danke.« Ihr war nicht danach zumute, ihn Herr zu nennen, wie sie es mit dem anderen Heiler immer tat. Dieser hier hatte nichts von dieser vornehmen Art, die der andere an sich hatte. Sie hatte keinen König gesehen, als sie ihn zum ersten Mal erblickt hatte, bei dem anderen dagegen war es so gewesen.
Als sie in der Molkerei fertig war und ins Haus hinüberging, hatte sich der neue Gast, Falke, am Herd eingerichtet und war dabei, das Feuer zu schüren. Der Heiler war in seinem Zimmer und schlief. Sie schaute hinein und schloss die Tür.
»Es geht ihm nicht so gut«, sagte sie leise. »Er hat die Rinder im Moor draußen im Osten behandelt, in der Kälte, tagelang, und er ist erschöpft.«
Als sie mit ihrer Arbeit in der Küche weitermachte, ging ihr Falke ganz selbstverständlich hier und da zur Hand, sodass sie sich schon zu fragen begann, ob die Männer von auswärts alle im
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