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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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zweifle, aber was gerecht ist, ist gerecht, nicht wahr? Ihr könntet gar nicht von mir verlangen, was mir als Lohn für Euch vorschwebt, aber was, wenn die Kur nicht anschlägt und die Tiere zuletzt doch eingehen? Bewahre! Dennoch will ich nun auch nicht von Euch verlangen, bis dahin ohne Bezahlung zu warten. Deshalb... hier ist eine Anzahlung auf alles Weitere, und damit sind wir vorerst quitt, nicht wahr?«
    Die Kupfergroschen steckten nicht einmal ordentlich in einem Beutel. Irioth musste die Hand aufhalten, und der Viehzüchter zählte sechs Kupfergroschen hinein, einen nach dem anderen. »So, das wär's! Das ist nur recht und billig!«, meinte er leutselig. »Und vielleicht werft Ihr auch noch einen Blick auf meine Einjährigen drüben auf der Grünen Weide, irgendwann in den nächsten Tagen.«
    »Nein«, erwiderte Irioth. »Sans Herde ist rasch zusammengeschrumpft, als ich fortging. Dort werde ich gebraucht.«
    »O nein, das werdet Ihr nicht, Meister Otak. Während Ihr auf den östlichen Weiden wart, ist ein Zauberer-Hei- ler gekommen und San hat ihn in Dienst genommen. Ihr arbeitet für mich und Ihr sollt gut entlohnt werden. Besser als in Kupfer, vielleicht... wenn die Tiere wohlauf sind!«
    Irioth sagte weder ja noch nein oder danke; wortlos ging er davon. Der Viehzüchter schaute ihm nach und spuckte aus. »Bewahre«, murmelte er.
    Irioth geriet innerlich in einen Aufruhr wie die ganze Zeit über nicht, die er nun im Hochmoor war. Er wehrte sich dagegen. Ein Mann der Mächte war gekommen, um das Vieh zu heilen, ein anderer Mann der Mächte. Ein Zauberer, hatte Alder gesagt. Kein Magier. Nur ein Heiler, ein Rinderheiler. Ich brauche keine Angst vor ihm zu haben. Ich brauche seine Macht nicht zu fürchten. Ich brauche seine Macht nicht. Ich muss ihn sehen, um sicher zu sein, um Gewissheit zu haben. Wenn er das Gleiche tut wie ich hier, dann ist nichts Schlimmes dabei. Wir könnten Zusammenarbeiten. Wenn ich das Gleiche tue wie er. Wenn er nur Zauberei verwendet, dann ist nichts Schlimmes dabei. So wie ich es mache.
    Er ging durch die weitläufigen Straßen von Lauterbrunn zu Sans Haus, das etwa auf halber Strecke lag, in der entgegengesetzten Richtung vom Wirtshaus. San, ein roher Kerl um die dreißig, stand an seiner Haustür und sprach mit einem Mann, einem Fremden. Als sie Irioth erblickten, wirkten sie verlegen. San ging ins Haus und der Fremde folgte ihm.
    Irioth trat auf die Schwelle. Er ging nicht hinein, sondern sprach durch die offene Tür. »Meister San, es ist wegen der Rinder, die Ihr dort zwischen den Flüssen stehen habt. Ich kann heute zu ihnen gehen.« Er wusste nicht, warum er das sagte. Es war nicht das, was er hatte sagen wollen.
    »Ah«, machte San, trat zur Tür und geriet ins Stocken. »Nicht nötig, Meister Otak. Das hier ist Meister Sonnenschein, er ist gekommen, um die Seuche zu bekämpfen. Er hat meine Rinder schon früher behandelt, Maul-und Klauenseuche und all das. So wie Ihr das angepackt habt, reicht ein Mann für Alders Rinder, seht Ihr...«
    Der Name des Zauberers war Ayeth. Die Macht in ihm war gering und schäbig, von Unwissenheit, Missbrauch und Lügen verdorben. Doch seine Eifersucht war wie ein verzehrendes Feuer. »Ich komme schon seit über zehn Jahren hierher und mache meine Arbeit«, sagte er vorwurfsvoll, trat hinter San vor und musterte Irioth von oben bis unten. »Kommt da von irgendwoher aus dem Norden und nimmt mir meine Arbeit weg, manch einer würde dagegen klagen. Streit zwischen Zauberern ist eine üble Sache. Falls Ihr überhaupt ein Zauberer seid, ein Mann der Mächte, will ich damit sagen. Ich bin einer. Wie die guten Leute hier sehr wohl wissen.«
    Irioth versuchte zu sagen, dass er keinen Streit wollte. Er versuchte zu sagen, dass Arbeit genug für zwei da war. Er versuchte zu sagen, dass er dem Mann seine Arbeit nicht wegnehmen wollte. Doch all diese Worte wurden von der zersetzenden Eifersucht dieses Mannes weggeätzt, der ihn nicht anhören würde, der die Worte zunichte machte, bevor sie ausgesprochen wurden.
    Ayeths Blick wurde dreister, als er sah, wie Irioth stammelte. Er setzte zu einer Bemerkung San gegenüber an, aber da hob Irioth an zu sprechen.
    »Ihr habt...«, begann er, »Ihr habt zu gehen. Zurück!« Als er »Zurück!« sagte, fuhr seine rechte Hand wie ein
    Messer durch die Luft und Ayeth sank mit starrem Blick rückwärts auf einen Stuhl.
    Er war nur ein kleiner Zauberer, ein betrügerischer Heiler, der über ein paar armselige

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