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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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hindurchflösse.
    Die Viehhüter debattierten darüber, ob es sicher sei oder nicht, das Fleisch eines Stiers zu essen, der an der Seuche gestorben war. Die ohnedies knappen Essensvorräte, die sie mitgebracht hatten, gingen zur Neige. Statt zwanzig oder dreißig Meilen weit zu reiten, um Nachschub zu holen, wollten sie einem Stier die Zunge herausschneiden, der kurz zuvor an diesem Morgen gestorben war.
    Er hatte sie gezwungen, alles Wasser, das sie verwendeten, abzukochen. Jetzt sagte er: »Wenn ihr dieses Fleisch esst, bekommt ihr in einem Jahr Schwindelanfälle. Und ihr endet mit dem blinden Schwindel wie sie.«
    Sie fluchten und spotteten, glaubten ihm aber. Er wusste nicht, ob das, was er sagte, stimmte. Es war ihm wahr vorgekommen, als er es ausgesprochen hatte. Vielleicht wollte er boshaft zu ihnen sein. Vielleicht wollte er sie los sein.
    »Reitet zurück«, sagte er. »Lasst mich hier. Für einen allein ist für drei oder vier Tage noch genug zu essen da. Die Mauleselin wird mich zurückbringen.«
    Das brauchte er ihnen nicht zweimal zu sagen. Sie ritten davon und ließen alles zurück, ihre Decken, das Zeltdach, den eisernen Topf. »Wie bekommen wir das bloß ins Dorf?«, fragte er die Mauleselin. Sie sah den beiden Ponys nach und sagte, was Eselinnen sagen: »Iiii-aaaah!« Sie würde die Ponys vermissen.
    »Wir müssen unsere Arbeit hier zu Ende bringen«, erklärte er ihr und sie sah ihn sanftmütig an. Alle Tiere sind geduldig, aber die Geduld von Pferden ist wundervoll, da sie aus freien Stücken kommt. Hunde sind treu, aber da ist mehr Gehorsam dabei. Hunde denken hierarchisch und sie unterteilen die Welt in Adelige und Bürgerliche. Pferde sind alle Adelige. Sie lassen sich auf eine Zusammenarbeit ein. Er erinnerte sich, dass er zwischen den hohen, gefiederten Beinen von Zugpferden herumgegangen war, ganz ohne Angst. Ihr tröstlicher Atem auf seinem Kopf. Das war sehr lange her. Er ging zu der hübschen Mauleselin und redete mit ihr, nannte sie seine Liebe, tröstete sie, damit sie sich nicht einsam fühlte.
    Er brauchte noch sechs Tage, um einmal durch die großen Herden im östlichen Moor durchzukommen. Die letzten beiden Tage verbrachte er damit, verstreute Gruppen von Rindern aufzuspüren, die zum Fuß des Bergs hinaufzogen. Viele von ihnen hatten sich noch nicht angesteckt und er konnte sie schützen. Die Mauleselin trug ihn auf bloßem Rücken und machte das Vorwärtskommen einfach. Aber er hatte nichts mehr zu essen. Als er ins Dorf zurückritt, waren sein Kopf leicht und seine Knie schwach. Er brauchte lange von Alders Stall, wo er die Mauleselin zurückließ, bis nach Hause. Emer begrüßte ihn und schalt ihn und versuchte, ihn zum Essen zu bewegen, aber er erklärte, dass er noch nicht essen konnte. »Als ich dort bei der Krankheit war, auf den kranken Weiden, da fühlte ich mich krank. Nach einer Weile werde ich wieder essen können«, erklärte er.
    »Ihr seid verrückt«, sagte sie aufgebracht. Aber es war süßer Ärger. Warum konnte nicht mehr Ärger so süß sein?
    »Nehmt wenigstens ein Bad!«, brummte sie.
    Er wusste, wie er roch, und dankte ihr.
    »Was zahlt Alder Euch denn jetzt für das alles?«, fragte sie, während das Wasser heiß wurde. Sie war immer noch empört und redete freier heraus als gewöhnlich.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er.
    Sie hielt inne und starrte ihn an.
    »Habt Ihr keinen Preis festgesetzt?«
    »Einen Preis festgesetzt?«, donnerte er. Dann erinnerte er sich, wer er nicht war, und sprach bescheidener. »Nein. Habe ich nicht.«
    »Ach du liebe Einfalt«, sagte Gabe und fauchte die Worte heraus. »Er wird Euch über den Tisch ziehen.« Sie schüttete einen Eimer voll dampfend heißem Wasser in die Badewanne. »Er hat Elfenbeinmarken«, sagte sie. »Sagt ihm, es muss Elfenbein sein. Dort draußen zehn Tage lang Hunger leiden, um sein Vieh zu kurieren! San hat nichts als Kupfergroschen, aber Alder kann Euch in Elfenbein bezahlen. Verzeiht mir, wenn ich mich in Eure Angelegenheiten einmische, mein Herr.« Mit zwei Eimern in der Hand stürzte sie zur Tür hinaus und eilte zur Pumpe. Unter keinen Umständen würde sie Flusswasser verwenden, in diesen Tagen. Sie war klug und freundlich. Warum hatte er so lange unter Menschen gelebt, die nicht freundlich waren?
    »Wir müssen abwarten und sehen, ob meine Rinder geheilt sind«, meinte Alder am nächsten Tag. »Wenn sie den Winter überstehen, seht Ihr, dann wissen wir, dass sie gesund sind. Nicht, dass ich daran

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