Das Vermächtnis von Erdsee
Strohsack, zog ihm die Schuhe aus und ließ ihn schlafen. Sie ging und sah nach dem anderen. Er wirkte fiebrig, sie legte ihm die Hand auf die Stirn. Er schlug die Augen auf und sah starr, ohne jeden Ausdruck, in die ihren. »Emer«, sagte er und schloss die Augen wieder.
Entsetzt lief sie vor ihm davon.
Im Dunkeln lag sie in ihrem Bett und dachte: Er hat den Zauberer gekannt, der mir meinen Namen gegeben hat. Oder ich habe meinen Namen gesagt. Vielleicht habe ich im Traum laut geredet. Oder jemand hat es ihm erzählt. Aber keiner weiß es. Niemand hat meinen Namen je erfahren außer dem Zauberer und meiner Mutter. Und die sind tot, längst tot... Ich muss im Schlaf geredet haben...
Doch sie wusste es besser.
Sie stand da mit einer kleinen Öllampe in der Hand und das Licht schien rötlich zwischen ihren Fingern hindurch und fiel golden auf ihr Gesicht. Er sagte ihren Namen. Sie schenkte ihm Schlaf.
Er schlief bis spät am Morgen und wachte auf wie nach einer ausgestandenen Krankheit, schwach und friedlich. Sie konnte einfach keine Angst vor ihm verspüren. Sie stellte fest, dass er keine Erinnerung mehr an das hatte, was sich im Dorf zugetragen hatte, an den anderen Zauberer, nicht einmal an die sechs Kupfergroschen, die sie über die Bettdecke verstreut gefunden hatte; er musste sie die ganze Zeit über fest in der Hand gehalten haben.
»Kein Zweifel, das ist das, was Alder Euch gegeben hat«, rief sie. »Der Geizhals!«
»Ich wollte nach seinen Rindern da... auf der Weide da zwischen den Flüssen sehen, oder?«, sagte er und wurde unruhig, bekam wieder diesen gehetzten Blick und stand von der Bank auf.
»Setzt Euch nieder«, befahl sie. Er setzte sich, aber er war unruhig.
»Wie könnt Ihr heilen, wenn Ihr krank seid?«, fragte sie.
»Wie sonst?«, entgegnete er.
Doch als er den grauen Kater streichelte, beruhigte er sich wieder.
Ihr Bruder trat in die Stube. »Komm raus«, sagte er zu ihr, als er den Heiler auf der Bank dösen sah. Sie ging mit ihm hinaus.
»Ich will nicht länger mit ihm unter einem Dach wohnen!« Berry wollte sich ihr gegenüber als Herr des Hauses aufspielen, aber auf seiner Stirn prangte ein großer blauer Fleck und die Augen waren glasig wie Austern, die Hände zitterten.
»Wohin wirst du gehen?«, fragte sie.
»Er ist es, der gehen muss.«
»Das ist mein Haus. Brens Haus. Er bleibt. Du kannst gehen oder bleiben, das liegt bei dir.«
»Es ist auch meine Angelegenheit, ob er bleibt oder geht, und er wird gehen. Du hast hier nicht allein das Sagen. Alle Leute wollen, dass er geht. Er ist niemandem geheuer.«
»O ja, nachdem er die Hälfte aller Herden behandelt und sechs Kupfergroschen dafür bekommen hat, wäre es an der Zeit für ihn zu gehen! Er bleibt hier, solange ich das will, und damit Schluss.«
»Sie werden keine Milch und keinen Käse kaufen«, jammerte Berry.
»Wer sagt das?«
»Sans Frau. Alle Frauen.«
»Dann bringe ich den Käse nach Oraby«, entgegnete sie, »und verkaufe ihn dort. In aller Herren Namen, Bruder, geh, wasch dir diese Wunde aus und zieh dir ein frisches Hemd an. Du stinkst ja nach Scheißhaus.« Damit ging sie zurück ins Haus. »O weh«, stieß sie hervor und brach in Tränen aus.
»Was ist los, Emer?«, fragte der Heiler und wandte ihr sein schmales Gesicht mit den merkwürdigen Augen zu.
»Oh, nichts Gutes, ich weiß, es ist nicht gut. Von einem Säufer kann nichts Gutes kommen.« Sie wischte ihre Augen mit der Schürze trocken. »War es das, was Euch gebrochen hat«, fragte sie, »das Trinken?«
»Nein«, sagte er, ohne gekränkt zu sein, vielleicht verstand er sie nicht.
»Natürlich war es das nicht. Bitte entschuldigt.«
»Vielleicht trinkt er, um ein anderer Mensch zu werden«, meinte er. »Um sich zu verändern, zu verwandeln...«
»Er trinkt, weil er trinkt«, erwiderte sie. »Bei einigen ist das nicht mehr. Ich bin jetzt in der Käserei. Ich schließe die Haustür ab. Da sind... da waren Fremde in der Gegend. Ihr ruht Euch aus. Es ist bitter kalt draußen.« Sie wollte sicher gehen, dass er im Hause blieb, geschützt vor allem Übel, und dass ihn keiner belästigte. Später würde sie ins Dorf gehen und mit ein paar von den vernünftigeren Leuten sprechen und diesem dummen Gerede Einhalt gebieten, wenn sie konnte.
Sie tat es auch, und Alders Frau Lohe und mehrere andere Leute stimmten ihr zu, dass ein Streit zwischen Zauberern über ihre Arbeit wahrlich nichts Neues war und man davon kein Aufhebens machen sollte. Doch
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