Das Vermächtnis von Erdsee
in der Art, wie wir das eben tun, aber nichts und niemand antwortete. So gingen wir auf die Suche nach ihm, der Meister des Gebietens zu den Inseln im Osten und ich zu denen im Westen. Denn wenn ich an den Mann dachte, sah ich vor meinem geistigen Auge einen hohen Berg, einen zerklüfteten Kegel, mit weitem grünem Land, das sich von dort aus nach Süden erstreckte. Aus dem Geografieunterricht als Junge in Rok erinnerte ich mich an die Bodenbeschaffenheit auf Semel, die dem Eindruck entsprach, und an den Berg, der Andanden heißt. So kam ich ins Hochmoor. Ich denke, ich habe den richtigen Weg eingeschlagen.«
Es herrschte Schweigen. Das Feuer knisterte.
»Soll ich mit ihm sprechen?«, fragte Gabe mit fester Stimme.
»Nicht nötig«, sagte der Mann, der aussah wie ein Falke. »Ich werde es tun.« Und er sagte: »Irioth.«
Sie schaute auf die Tür zum Schlafzimmer. Sie ging auf und da stand er, schmal und müde, die dunklen Augen voller Schlaf und Verwunderung und Schmerz.
»Ged«, sagte er. Er beugte den Kopf. Nach einer Weile sah er auf und fragte: »Willst du meinen Namen von mir nehmen?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Er bedeutet nur Verletzung. Hass, Stolz, Gier.«
»Diese Namen werde ich von dir nehmen, Irioth, aber nicht deinen eigenen.«
»Ich habe das nicht begriffen«, sagte Irioth, »das mit den anderen. Dass sie andere sind. Dass wir alle andere sind. Dass wir es sein müssen. Ich hatte Unrecht.«
Der Mann mit Namen Ged ging zu ihm und ergriff seine Hände, die halb ausgestreckt waren, flehend.
»Du bist in die Irre gegangen. Du bist zurückgekehrt. Aber du bist müde, Irioth, und der Weg ist schwer, wenn du allein gehst. Komm mit mir heim.«
Irioths Kopf sank herab, wie von übergroßer Müdigkeit. Alle Anspannung und aller Zorn war aus seinem Körper gewichen. Aber er schaute auf, doch nicht zu Ged, sondern zu Gabe, die still beim Herdfeuer stand.
»Hier ist Arbeit für mich«, sagte er.
Ged sah sie an.
»Das stimmt«, beteuerte sie. »Er heilt die Rinder.«
»Sie zeigen mir, was ich tun soll«, erzählte Irioth, »und wer ich bin. Sie kennen meinen Namen. Aber sie sagen ihn nie.«
Nach einer Weile zog Ged den älteren Mann an sich und hielt ihn in seinen Armen. Leise sagte er etwas zu ihm und ließ ihn wieder los. Irioth tat einen tiefen Atemzug.
»Ich tauge dort nichts, weißt du, Ged«, sagte er. »Hier hingegen schon. Wenn sie mich die Arbeit machen lassen.« Wieder sah er Gabe an und Ged ebenfalls. Sie blickte zwischen den beiden hin und her.
»Was sagt Ihr, Emer?«, fragte der Mann, der aussah wie ein Falke.
»Ich würde sagen«, wandte sie sich mit dünner und spitzer Stimme an den Heiler, »wenn Alders Rinder den Winter überstehen, wird der Viehzüchter Euch bitten zu bleiben. Auch wenn er Euch vielleicht nicht liebt.«
»Niemand liebt einen Zauberer«, erwiderte der Erzmagier. »Nun, Irioth... Habe ich diesen ganzen Weg in der Starre des Winters zurückgelegt, nur um allein wieder zurückkehren zu müssen?«
»Sag ihnen... sag ihnen, dass ich Unrecht hatte«, bat
Irioth. »Sag ihnen, das ich Unrecht getan habe. Sag Thorion...« Verwirrt hielt er inne.
»Ich werde ihnen sagen, dass die Veränderungen im Leben eines Mannes all unsere Kunst übersteigen können und all unsere Weisheit«, meinte der Erzmagier. Wieder sah er Emer an. »Kann er hier bleiben, Frau? Ist das Euer Wunsch, so sehr wie seiner?«
»Er ist zehnmal so nützlich und eine viel bessere Gesellschaft als mein Bruder«, sagte sie. »Und ein freundlicher, aufrichtiger Mann, wie ich Euch gesagt habe, Herr.«
»Nun gut denn. Irioth, mein lieber Kamerad, Lehrer, Rivale, Freund, lebe wohl. Emer, gute Frau, meine Ehrerbietung und mein Dank an dich. Frieden deinem Herzen und deinem Herd«, und er machte eine Geste, die über der Herdstelle für einen Augenblick eine glühende Spur aufleuchten ließ. »Jetzt mache ich mich auf zum Kuhstall«, sagte er und war draußen.
Die Tür fiel ins Schloss. Es war still bis auf das Knistern des Feuers.
»Komm zum Feuer«, sagte sie. Irioth kam herüber und setzte sich auf die Bank.
»War das der Erzmagier? Wirklich?«
Er nickte.
»Der Erzmagier der Welt«, sagte sie. »In meinem Kuhstall. Er sollte in meinem Bett...«
»Er würde es nicht wollen«, entgegnete Irioth.
Sie wusste, dass er Recht hatte.
»Dein Name ist wunderbar, Irioth«, sagte sie nach einer Weile. »Den wahren Namen meines Mannes habe ich nicht gekannt. Er den meinen auch nicht. Ich werde deinen nie
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