Das verplante Paradies
er sich über den stählernen Rahmen hinauf.
„Es ist gar nicht nötig einzusteigen“, rief er herunter. „Ich lasse einfach die Ladung ganz sachte in die Pumpe hineinfallen, und dann hauen wir ab. Simeon hat gesagt, es ist alles eingestellt. Wenn irgend etwas schiefgeht, ist es seine Schuld.“
Gogan grunzte, während er Vangojs Fingerabdrücke von der Muschel wischte und den leichten Kratzer leckte, den das Glas auf ihrer Oberfläche hinterlassen hatte. Sie lag schwer in seiner Hand. Nerven, sagte er sich. Sogar das Atmen kostete Anstrengung. Unbewußte Muskelspannung.
„In Ordnung.“ Vangoj war zurück. Sie sprangen hinunter auf den Sand und rannten über den Strand. Sie hielten, wo Gogan zuerst die Bewegung im Wasser bemerkt hatte.
Sie schlenderten am Wasser entlang und hörten dem leisen Plätschern und Saugen des Wassers zu.
„Mein Salziger Mann mit trägem Haar erhebe dich“, sagte Gogan, als er sich allmählich entspannte. Die anderen brummten zufrieden.
„Ich tippe auf sechzig Sekunden“, sagte Vangoj. „Dann wird etwas Leben in diesen Ozean kommen.“
„… komm in meine Augen.
Hinauf will ich fliegen, hinauf
Und wundern will ich mich …“
Gogan preßte die Muschel an die Lippen. Er setzte sie ans Ohr. „Mensch, laßt uns hören, wie die Flut kommt“, sagte er.
Aber die Muschel war stumm. Er steckte den Finger hinein und entdeckte Staub. „Da ist was drin.“
„Sand“, sagte Vangoj. „Ich wette, dieser Simeon hat sie mit Sand gefüllt. Leg sie ins seichte Wasser und laß sie von der See auswaschen … Hey …“ Er legte den Kopf auf die Seite. Sein Gesicht nahm einen träumeri schen Ausdruck an. „Eine rituelle Waschung, was sonst? Leg sie ins seichte Wasser, Papa Gogan, und wir nehmen unsere Bestellung ein.“
Gogan setzte die Muschel auf den nassen Sand am Rande des Wassers. Er drehte sie um, damit die Öffnung zum Wasser zeigte.
Die Budniks setzten sich im Halbkreis nieder, mit gefalteten Händen und gesenkten Köpfen. In der folgenden Stille bebte nur das Meer leise.
„Das Gebet, Daddy“, sagte Vangoj. „Das Reinigungsgebet. Zehn Sekunden.“
„An – an Neptuns Flut zu saugen“, sagte Gogan, während er das Salz von den Lippen leckte. „Ruf Sturm und Donner … Ruf die Meerjungfrau an meine Seite …“
„Hey, das stimmt aber nicht“, sagte jemand.
„Jetzt“, rief Gogan.
Und als das erste schreckliche Wasser in ihre Öffnung sickerte, explodierte die Muschel.
Das Echo war flach und trocken, es klatschte nur kurz auf die geschäftigen, frühmorgendlichen Geräusche von Playa 9. Als das Echo verhallt war, blieb alles still. Eine merkwürdige Stille wie nach einem kleinen Schock, die den Eindruck hinterließ, daß dieser Augenblick die Dimensionen gesprengt hatte und der Rest der Welt zu einer stummen Fotografie geronnen war.
Vangoj versuchte zu lachen, aber es paßte nicht. Er blieb jedenfalls allein. Die anderen, unbeweglich wie Statuen, beobachteten Gogan – einen Gogan, der haltlos vor sich hinweinte, während er über den Sand kroch und Splitter der Muschel in dem verzweifelten Bemühen sammelte, sie wieder zusammenzufügen. Er verbrannte sich die Finger an den von der Explosion erhitzten Splittern, sammelte aber unbeirrt weiter, während er ab und zu an seinen Fingern lutschte.
„Gogan“, sagte Vangoj. Und dann: „Gogan!“
Der Mann kroch auf dem Sand umher ohne zu hören.
Er suchte immer noch, und sie starrten ihn immer noch an, als die Sirene über sie herfiel. Sie stellten Gogan auf die Füße, aber er fiel wieder um, als ob seine Knie ihre Tragfähigkeit verloren hätten. Immer noch sammelte er Scherben, während er sich selbst unsinni ge Tröstungen zusprach.
Die Polizisten zerrten ihn hoch, und er fiel wieder hin. Er kroch über den Strand wie eine nackte Schildkröte und wischte mit wilden Armbewegungen über den Sand.
Schließlich wandten sie ihre Gummiknüppel an, und der nackte Überlebensinstinkt brachte ihn wieder auf die Beine.
Er ging vor den anderen Budniks die Küstenanhöhe hinauf, von zwei Polizeibeamten getrieben.
„Mach dir nichts draus, Gogan-Baby“, rief ihm Vangoj nach. „Wir beschaffen dir eine schöne neue Muschel.“
Julie sah, wie ihr Schatten schmal wurde, als sie sich von der Erde hinauf in den Himmel hob. „Wenn ein Mann für mich zerstören kann …“
„Was?“ Simeon hörte nur Bruchstücke von Silben, als er neben ihr zur Erde stürzte, seinem großen Schatten entgegen.
„Wie, was?
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