Das verplante Paradies
schüttelte eine Kette vor Julies Gesicht. „Mir ist gerade aufgefallen, was wir da eigentlich verbrennen“, sagte er.
Julie wollte mit ihm lachen, aber es mißlang ihr. Es gab also noch andere Dinge, die ihn beschäftigten.
Als er sich in der Wärme des Feuers neben sie setz te, sah er Tränen auf ihrer Wange. Und diesmal wußte er, warum. Er nahm sie sachte in den Arm und wiegte sie.
„O. K. Sie haben mich eingeholt“, sagte er. „Ohne zu wissen, wohin wir gingen, haben wir uns hierher verirrt, wo diese Dinger gelegen und gewartet haben. Aber sieh sie dir an: Asche. Sie bedeuten mir gar nichts. Ich habe mich nur darüber gefreut, daß wir sie jetzt noch gebrauchen konnten. Ich verspreche dir, das ist das letzte, was ich darüber sage.“
Er spürte ihren Blick und wußte, daß sie überlegte, ob sie ihm trauen könne. Er errötete. „Vielleicht hätten wir zu unserem Scootel zurückgehen sollen. Ich werde diese fünfhundert Dollar ausgeben, Julie. Ich finde, das sind die mir schuldig. Wir hätten uns ein paar Annehmlichkeiten verschaffen können.“
„Und wir hätten eine Menge Aufmerksamkeit erregt“, sagte Julie. Sie rückte sich in seinen Armen zurecht. Sie wußte, daß sie jetzt ein ganzes Leben lang Zeit hatten, und dennoch machte das Gespräch sie ungeduldig.
Simeon stützte sie mit den Knie und breitete ihre Haarsträhnen über seine Hände. Als sie die Augen ver drehte, um zu sehen, was er tat, küßte er zart ihre Haare.
„Die ganze Stadt hätte erfahren, daß du deinen Status verändert hast“, sagte sie. „Sie hätten mit den Ohren an der Schlafzimmertür gelegen. Wir haben noch lange genug Zeit, an die Annehmlichkeiten des Lebens zu denken, wenn wir hier raus sind.“
Lange genug Zeit … unruhig bewegte sie sich.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß wie man liebt.“ Simeon redete schon wieder. „Wo lernt man zu lieben? Entweder ist die Liebe einfach da, und man saugt sie auf wie ein Schwamm, wie die Jugend eben alles einfach aufsaugt, oder sie ist nicht da und kommt auch nie. Liebe spürt man zum ersten Mal seinen El tern gegenüber, oder?“
Er flocht sich Julies Haare zwischen die Finger und löste sie wieder. Lange genug Zeit …
„Ich dachte immer, ich besäße die Liebe. Aber als ich alt genug geworden war, um Erlebnisse vergleichen zu können, stellte ich fest, daß ich einiges versäumt hatte. Weißt du, das ist merkwürdig. Du denkst immer, du bist glücklich, und wenn du einundzwanzig bist, erzählt dir plötzlich jemand, wie er es erlebt hat, und plötzlich, nach zwanzig Jahren, vermißt du etwas in deinem Leben. Aber damals, als du es wirklich versäumt hast, hast du nichts darüber gewußt. Hast du das schon einmal erlebt?“
„Ich sag’s dir, wenn ich einundzwanzig bin“, sagte Julie.
Simeon bemerkte den Spott nicht. „Wie alt bist du denn?“ Julie lachte. Simeon zuckte mit den Schultern. „Siehst du – Ich weiß nicht einmal die einfachsten Dinge.“
„Ich glaube schon, daß du sie weißt“, soufflierte Ju lie. Noch einmal errötete er, und diesmal spürte sie die Wärme seiner Wange, als sie sich an ihn schmiegte.
„Weißt du, wenn man so zurückblickt, sieht man die Dinge in einem anderen Licht …“
Simeon, Simeon, so hör doch auf.
„… die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Suche nach einem Fluchtweg, wo ich geboren wurde. Man könnte meinen, unter diesen Umständen hätte Liebe vieles bewirken können.
Aber die Leute waren so – körperlich. Ein paar Kinder mehr oder weniger, das war ihnen egal …“
Was hast du gegen Körperlichkeit? Was hast du gegen Babies? Wenn du nicht –
„… es war eine dauernde Verpflichtung, daß man auf sie aufpassen mußte. Und wenn man älter wurde, warteten schon die Eltern darauf, daß man ihnen jeden Penny zurückzahlte, den sie je für einen ausgegeben hatten. Und wenn man selbst etwas werden wollte, zeigten sie bloß auf die Kerben am Türpfosten und sagten ‚Noch nicht’ …“
… impotent bist. Simeon, du bist doch nicht …
„… dabei gab es zwei Auswege. Der eine war illegal. Den anderen habe ich gewählt: Ich bin weggelaufen. Und ich lief und lief, bis ich hier, auf diesem Strand, sechstausend Meilen entfernt von meinem Ausgangspunkt gelandet bin. Und jetzt habe ich ein Mädchen im Arm und spüre etwas in Leib und Seele, das nur Liebe sein kann. Ich …
Niemand hat mich bisher geliebt, Julie. Ich habe Angst.“
Julie beherrschte sich genug, um einfach nur seine Hand zu drücken.
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