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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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erreichten den Fuß des Hügels. Ungerührt lenkte Chatillon sein Streitross an den leblosen Körpern vorbei, die ringsum im Sand lagen, viele verstümmelt und in grotesker Verkrümmung, der Boden unter ihnen dunkel verfärbt. Auch einige Frauen waren darunter sowie Halbwüchsige, die fast noch Kinder waren.
    Chatillon nahm es mit Gleichmut zur Kenntnis, ebenso wie den Gestank. Es war das Antlitz des Krieges, das sich hier zeigte, und dieser Krieg, das war seine innerste Überzeugung, war unumgänglich.
    »Dort, Herr«, sagte einer seiner Leute, die umhergingen und allen, die im Staub lagen, die Kehlen durchschnitten, um sicherzugehen, dass sie sich nicht wieder erheben würden.
    Chatillon nickte und lenkte sein Pferd in die Richtung, die der Soldat ihm bedeutete. Ein Trupp von Kämpfern hatte sich dort um zwei Männer geschart, die beide auf dem Boden knieten.
    Der eine mochte an die fünfzig Winter zählen; man hatte ihm den Turban herabgerissen, sodass das angegraute Haar zu sehen war. Der andere war jung, fast noch ein Knabe, vermutlich einer der Kameltreiber. Beide boten einen würdelosen Anblick, wie sie so im Sand kauerten, das Schwert ihrer Bewacher im Genick. Namenloser Schrecken stand in ihren Gesichtern geschrieben, was Chatillon zu einem zufriedenen Lächeln veranlasste.
    Genau so hatte er es angeordnet.
    Er trieb sein Pferd auf die Gruppe zu und stieg dann aus dem Sattel, trat auf die beiden Gefangenen zu.
    »Bist du der, den man karwan bashî nennt?« Er verwendete den arabischen Ausdruck, weil er nicht damit rechnete, dass der andere ihn verstand. Umso verblüffte war er, als der Alte nickte und in akzentschwerem, aber gut verständlichem Französisch antwortete: »Ja, Herr, der bin ich.«
    »Du sprichst unsere Sprache?«
    »Ja, Herr.« Die Furcht war dem Alten deutlich anzusehen, seine Stimme nur ein Hauch im trockenen Wind, der aus der Wüste heranblies.
    »Wer hat dir das beigebracht?«, wollte Chatillon wissen.
    »Freunde … in Jerusalem.«
    »Ich verstehe.« Chatillon nickte – und fühlte sich in allem bestätigt. Wenn die Völker und Religionen jetzt schon damit anfingen, sich untereinander zu vermischen, dann war es höchste Zeit, diesen letzten, entscheidenden Krieg zu führen.
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog der Graf von Antiochia sein Schwert aus der Scheide, holte aus – und hieb erbarmungslos zu.
    Der erste Hieb fuhr knapp oberhalb der Schulter in den Hals des Alten, war jedoch nicht kräftig genug, um ihn zu durchtrennen. Mit einer Verwünschung riss Chatillon die Klinge zurück, worauf Blut hervorschoss und ihn und den anderen Gefangenen besudelte. Chatillons zweiter Hieb beendete das grausige Werk. Das Haupt des Alten fiel in den Sand, der kopflose Torso kippte zur Seite.
    Ungerührt bückte sich Chatillon, packte das abgetrennte Haupt und warf es dem Jungen hin, der am ganzen Körper zitterte. Unfähig zu schreien, starrte er zuerst auf das herrenlose Haupt und dann auf Chatillon, ungläubiges Entsetzen in den Augen.
    »Kennst du den Weg nach Damaskus?«, fragte der Graf von Antiochia.
    Der Junge nickte krampfhaft.
    »Dann bring das dorthin. Berichte, was geschehen ist, und sag Sultan Saladin, dass es so allen Ungläubigen ergehen wird, die ihren Fuß in das Königreich setzen.«
    Er wandte sich ab, ohne die Reaktion des Jungen abzuwarten, hörte nur, wie sich dieser gurgelnd übergab.
    Trotz der Bluttat, die er verübt hatte, verspürte Raynald de Chatillon keine Reue. Im Gegenteil, er war innerlich ruhig wie seit Langem nicht mehr, denn die Würfel waren gefallen.
    Endlich war es entschieden.
    Saladin konnte ein Blutbad wie dieses nicht ungeahndet lassen. Er würde reagieren, und selbst ein Zauderer wie Guy de Lusignan würde dann kämpfen müssen.

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7
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    »Von Stunde zu Stunde, bei Tag und bei Nacht, ändert sich der Geschmack der Quelle, die kaum drei Tagesreisen von jenem Paradiese entspringt, aus dem Adam vertrieben wurde.«
    Brief des Johannes Presbyter, 120 – 121
    See von Tharthûr
25. März 1187
    Ein See mit zwei Monden.
    Der eine stand hoch am sternklaren Himmel, bleich und in seiner vollen Rundung daran erinnernd, dass wieder ein Monat verstrichen war; der andere lag auf dem spiegelglatten Wasser.
    Die Erkenntnis traf Rowan wie ein Fausthieb. Genau davon hatte Cassandra gesprochen! Dies musste der See sein, den sie in ihren Träumen gesehen hatte!
    Vier Tage waren vergangen, seit sie die Karawane verlassen hatten. In nordöstlicher Richtung waren sie

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