Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
zugeteilt. Mercadier vertrieb sich die Zeit, indem er sich in der Komturei umblickte und sich an den üppigen Mahlzeiten beteiligte, die im Refektorium kredenzt wurden; als er nach dem Mittagessen in ihre Kammer zurückkehrte, um die Zeit bis zur Non zu ruhen, fand er Kathan noch genauso auf der Kante seines Lagers brütend wie am Morgen.
    »Nun, Bruder, wie steht es?«, fragte er betont heiter. »Willst du nichts essen? Nach dem Fraß, mit dem wir in den vergangenen Wochen vorliebnehmen mussten, ist ein fetter Braten nicht zu verachten.«
    »Ich habe keinen Hunger«, erklärte Kathan kategorisch.
    »Keinen Hunger, ich verstehe.« Mercadier trat vor ihn, die Fäuste energisch in die Hüften gestemmt. »Soll das jetzt so weitergehen? Wie lange willst du dir noch den Kopf zerbrechen über das, was geschehen ist?«
    Kathan ließ ein Knurren vernehmen. Ihm war nicht nach einer Unterhaltung.
    »Du weißt, dass es sinnlos ist, in der Vergangenheit zu verweilen. Deshalb rate ich dir wohl, sie ruhen zu lassen.«
    »Kann ich das denn?«, fragte Kathan, ohne seinen Blick zu heben.
    »Im Grunde bleiben dir nur zwei Möglichkeiten. Entweder du gehst zu de Lacy und erzählst ihm, was geschehen ist, worauf er dich zweifellos in Ketten legen lassen wird, bis dir bei der nächsten Vollversammlung des Kapitels der Prozess gemacht wird – und das kann gut und gerne drei Jahre dauern. Unwahrscheinlich, dass du im Kerker so lange überlebst.«
    »Oder?«, fragte Kathan.
    »Oder du hältst das Maul und denkst zur Abwechslung nicht nur an dich und dein reines Gewissen, sondern auch an deinen Waffenbruder, der kein Verlangen danach verspürt, den Rest seiner Tage an diesem eisig kalten Flecken Erde zu verbringen.«
    »Hast du deshalb gelogen? Hast du de Lacy deshalb nicht die Wahrheit über Gaumardas gesagt? Hattest du Angst, dass man dir eine Mitschuld an seinem Tod geben würde? Dass man dich nicht nach Jerusalem zurücklassen würde?«
    »Wer weiß?« Mercadier zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatte ich aber auch nur Angst, noch einen weiteren Freund zu verlieren.«
    »Unwahrscheinlich«, konterte Kathan, worauf der andere nur lachte.
    »Komm schon, Bruder, hör auf, dich zu grämen. Das Mädchen ist diejenige, die wir finden sollten, das weißt du so gut wie ich, und auch de Lacy wird es früher oder später herausfinden. Dann steht unserer Rückkehr in die Heimat nichts mehr im Weg.«
    »Ja.« Kathan spuckte auf den hölzernen Boden. »Fragt sich nur, wie lange er brauchen wird, um es herauszufinden. Und ob das Mädchen dann noch am Leben ist.«
    Mercadier holte hörbar Luft. »Allmählich verstehe ich! Es geht dir gar nicht um das, was auf jener Lichtung geschehen ist, nicht um den Tod von Gaumardas. Sondern um das Mädchen!«
    Zum ersten Mal hob Kathan das Haupt und schaute seinem Waffenbruder ins Gesicht. »Gaumardas war ein Schwein. Ich weiß, dass ich das über einen der Unseren nicht sagen sollte, aber das ändert nichts an der Tatsache – und genauso ist er auch gestorben.«
    »Gaumardas war ein Mann mit vielen Problemen«, drückte Mercadier es eloquenter aus. »Eines davon war der Grund, weshalb er dem Orden beigetreten ist. Er hatte eine Schwäche für kleine Mädchen, und er gab ihnen die Schuld daran. Er glaubte, ihnen die Dämonen austreiben zu müssen, und das hat er wohl einmal zu oft getan.«
    »Er war ein Schwein«, beharrte Kathan.
    »Sein Verstand hat in Damietta Schaden genommen«, räumte Mercadier ein, »und als wir das Mädchen fanden, da glaubte er sich wohl in jene Tage zurückversetzt – tragisch, zweifellos. Dennoch hat er sich zu Lebzeiten um sein Seelenheil verdient gemacht.«
    »Glaubst du das wirklich, Mercadier?« Kathan schüttelte den Kopf. »Glaubst du diesen Unsinn, dass jedwede Sünde, die wir im Diesseits begehen, uns heute schon verziehen wird? Dass wir dafür nicht in der Hölle schmoren müssen?«
    »Gaumardas hat es geglaubt.«
    »Gaumardas war wahnsinnig. Er hat gebrandschatzt und gemordet, und es hat ihm Spaß gemacht. Dieses Mädchen hingegen ist unschuldig, es hat niemandem etwas getan. Und wir haben es ans Messer geliefert.«
    »Nun komm, Bruder!« Mercadier hob beschwichtigend die Hände. »Übertreibst du damit nicht etwas?«
    »Denkst du? Was, glaubst du, wird passieren, wenn de Lacy von ihr nicht das zu hören bekommt, was er hören will? Was wird er dann wohl tun? Ich werde es dir sagen, Bruder: Er wird ihr Schmerz zufügen. Er wird sie quälen und foltern, und wir tragen

Weitere Kostenlose Bücher