Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verschwinden des Philip S. (German Edition)

Das Verschwinden des Philip S. (German Edition)

Titel: Das Verschwinden des Philip S. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Edschmid
Vom Netzwerk:
zu sehen sind. Als der Sender Freies Berlin während der Veranstaltung drehen will, drängt eine Gruppe, in der sich auch Philip S. befindet, den Kameramann beiseite,um das teure Gerät zu »enteignen«. Die Studenten fahren nach München an die Filmhochschule, um auch dort über den Rauswurf zu berichten. Wieder nehmen sie ihre Filme mit. Als Philip S. dort den Einsamen Wanderer zeigt, fragen auch die Münchener Studenten, wie denn eine solche Arbeit und eine politische Haltung zusammenzubringen sei. Diesmal erklärt er die Form seines Films als einen Angriff auf bürgerliche Sehgewohnheiten.
    Heute kann man eine Antwort versuchen, schreibt einer der achtzehn rausgeworfenen Studenten Jahre später, als er längst ein bekannter Filmtheoretiker ist. Etwas Wegweisendes sei an diesem Film gewesen, sagt er, ein Gespür für Kargheit, der Film tue nicht so, als gäbe es eine Welt, die als Drehort zur Verfügung stünde. Eine Einstellung wie die, in der ein Wagen ganz langsam über den Kies einer Auffahrt rollt, zeige deutlich, dass das Auge die Filmrealität herzustellen habe und nicht ein Kulissenschieber.
    Es ist das letzte Mal, dass Philip S. seinen Film vorführt. Er wird ihn zurückgeben und aus der Akademie verschwinden. In einem Rückblick auf das zehnjährige Bestehen der Hochschule, der ein Jahr nach seinem Tod erscheint, taucht er nur noch einmal als »toter Schweizer« auf; in den folgenden Rückblicken wird er nicht mehr erwähnt. Er hat seinen Film zwar noch im Gepäck, als er sich mit einem Freund von München aus wieder auf den Weg nach Italien macht, aber er kommt nicht mehr dazu, ihn zu zeigen.
    Es sollte eine kurze Reise sein, nur über die Grenze und wieder zurück. Sie sind zu zweit unterwegs. Sie wollen den Film eines italienischen Regisseurs nach Deutschland bringen, der aus Gründen verboten war, an die sich heute niemand mehr erinnert. Eine Kopie liege in Mailand. Nochimmer streiken in Italien die Studenten. Wieder werden die Fremden auf einer Veranstaltung in der Universität für Abgesandte aus Berlin gehalten. Philip S. überbringt eine eilig aus Schlagworten zusammengezimmerte, auf Italienisch verfasste Grußbotschaft der rausgeworfenen Studenten der Filmakademie. Wieder werden sie eingeladen, diesmal ist es ein bekannter Maler monochromer Bilder, der sie aufnimmt, und wieder geraten sie in eine Demonstration, wo Philip S. in der Mailänder Galeria ein Molotow-Cocktail zugesteckt wird, der aus der Tasche seines langen Mantels rutscht und auf dem Marmorboden zerschellt. Sekunden später drängt die Menschenmenge über eine hochexplosive Pfütze hinweg.
    Kurz darauf werden er und sein Begleiter in einem Café verhaftet. Mit erhobenen Händen gehen sie mit den Polizisten nach draußen, wo ein Wagen wartet, um sie ins Polizeigefängnis zu bringen. Als das Telegramm von seiner Festnahme kam, war mein erster Gedanke, dass ich ihn nicht wiedersehen würde. In meiner Erinnerung ist es bereits kalt, und die Ereignisse in Mailand sind in eine frühabendliche Dunkelheit gehüllt. Aber ein bekannter Anwalt hatte im Café mit am Tisch gesessen und nach einigen Tagen ihre Entlassung erreicht. Dann werden sie aus Italien ausgewiesen. Philip S. kommt zurück wie von einem Grenzgang zwischen Kunst und Leben. Was er erlebt hatte, war für ihn wie eine Sequenz aus einem Film gewesen. Was geschehen wäre, wenn jemand ein brennendes Streichholz oder eine noch glühende Zigarettenkippe in die Pfütze geworfen hätte, das blendete er wie mit einem Schnitt aus.

XI
    Es ist seine Idee, nicht meine. Ich habe gar nicht vor, Filme zu machen. Der technische Aufwand ist mir zu groß. Ich bewege mich in kleinen Kreisen. Das, was ich tun will, soll überschaubar und von mir alleine zu bewältigen sein. Durch den Rauswurf aus der Akademie aber war Philip S. von Kameras und sonstigem Gerät abgeschnitten, und in ihm reifte die Vorstellung, dass ich mich an der Filmakademie bewerben könnte, um ihm auf diesem Umweg Zugang zur technischen Ausstattung zu verschaffen. Er wollte unbedingt weiter Filme machen, aber er wusste noch nicht, wie.
    Da ich wenige Vorkenntnisse aufzuweisen habe, entwickeln wir zusammen ein Konzept, wie ich durch das Nadelöhr der Prüfung komme. Um zu verbergen, was ich nicht kann, muss ich dadurch auffallen, dass ich alles anders mache, als es verlangt wird. Philip S. fertigt mir eine große Mappe an. Ich lege Vergrößerungen der Fotos aus Italien hinein, die in blassen Abzügen mit schwindenden Umrissen

Weitere Kostenlose Bücher