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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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Problem ist, dass solche Angorafasern auch an der Kleidung des Opfers gefunden wurden.«
    Sie trat einen Schritt zurück. Er redete weiter, ohne sie hinter sich sehen zu können. »Die Spurenlage sagt ziemlich eindeutig, dass jemand in einem solchen Pullover das Opfer von hinten umfasst hat, was im Grunde nur der Täter gewesen sein kann. Dadurch, dass ich mich am Tatort über das Opfer beugte und Wiederbelebungsversuche durchführte, haben sich die Fasern an meiner Jacke mit denen am Opfer vermischt. Die Spurenlage sagt jetzt, dass an der Kleidung der Leiche das gleiche Fasergemisch gefunden wurde wie an meiner Jacke. Anders ausgedrückt: Ich stehe unter Mordverdacht, wenn ich nicht eindeutig nachweisen kann, dass die Angorafasern an meiner Jacke eben doch eine andere Quelle haben und etwas anders strukturiert sind und es am Tatort nur zu einer unglücklichen Vermischung der Spuren kam.«
    Er hörte, wie sie bebend einatmete. Meine Güte, dachte er, gut, dass mir kein Professioneller bei diesem unlogischen Mist zugehört hat. Hauptsache, sie schluckt es, denn sie kann längst nicht mehr klar denken. In ihrem Kopf dreht sich alles nur noch darum, wie sie aus diesem Dilemma herauskommt.
    Er erhob sich und baute sich in voller Größe vor ihr auf. Er straffte die Schultern und sagte mit fester Stimme: »Für diese eindeutige Abgrenzung benötige ich Ihren Pullover!« Er hob die Hände und bekräftigte: »Bitte!«
    Sie sprang förmlich zurück. »Nein«, rief sie schrill.
    »Nun, dann eben nicht«, sagte er ruhig und ließ mit überlegenem Lächeln die Hände sinken.
    Sie wandte sich ab und lief in Richtung Tür.
    Er folgte ihr nicht, sondern rief ihr nach: »Einen Moment noch!«
    Sie hielt in der Bewegung inne und drehte sich ein wenig um, die Fußspitzen zur Tür gerichtet. Er lächelte freundlich. Jetzt kommt meine Columbo-Nummer, dachte er genüsslich.
    »Eine Kleinigkeit, bei der Sie mir vielleicht doch noch behilflich sein könnten. Als Medizinerin.« Er zog etwas aus seiner Jackentasche hervor. »Ich möchte das meinen Kollegen erst zeigen, wenn ich Gewissheit habe«, erklärte er und legte zwei Tüten auf die Tischplatte.
    Sie trat sehr schnell näher und starrte auf das, was er präsentierte. Säuberlich in durchsichtige Kunststoffhaut gehüllt, lagen dort eine zerrissene Goldkette mit einem Anhänger in Handform und ein feines Tuch, das mit blauen Hortensien auf blassgelbem Grund bemalt war. Die Umrisse schimmerten goldfarben. Die Kling schob ihr Haar hinter die Ohren und beugte sich langsam über die Gegenstände. Ihr Blick huschte darüber. Ihr Gesicht wurde zunehmend blasser, sie stützte die Fingerspitzen am äußersten Rand der Tischplatte ab. Schließlich richtete sie sich vorsichtig auf und stellte genau die Frage, die er erwartet hatte.
    »Wo haben Sie das her?«
    Er lächelte entspannt. »Das darf ich Ihnen doch nicht sagen«, antwortete er im Ton eines korrekten Polizisten.
    Sie schaute ihn an. Ihre grüngrauen Augen waren vor Schreck geweitet. An ihrem Hals wurden rote Flecken sichtbar.
    Völlig ruhig hielt er ihrem Blick stand. Pokerface. »Ich bin, wie gesagt, neu in Offenbach und will vor den Kollegen keinen Fehler machen. Aber ich glaube, auch hier gilt die alte Regel, wenn man das Tatwerkzeug hat, dann …«
    Die Blicke der Kling wanderten sofort zu dem Tuch.
    Stephan redete weiter: »Dann hat man die entscheidenden DNS -Spuren des Täters. In diesem Fall ist das Tatwerkzeug etwas ganz Einmaliges. Ein bemaltes Seidentuch, das die Ermordete selbst um den Hals trug. Es war eine spontane Tat. Das Opfer hat sie womöglich selbst ausgelöst. Irgendetwas Verletzendes hat Hatice Ciftci alias Özlem Onurhan gesagt. So in der Art wie:
Es ist mein Kind. Ich gebe es dir nicht!
«
    Die Kling hatte schwankend vor dem Tisch gestanden und das Tuch fixiert. Bei seinem letzten Satz zitterten ihre Lippen. Mehr geschah nicht.
    Stephan nahm den Beutel mit dem Tuch in die Hand. Die Blicke der Kling folgten ihm gebannt, als würde es gleich lebendig werden und sie anspringen. Er hielt es sehr nahe vor ihr Gesicht. Sie zuckte zurück.
    »Eigentlich wollte ich Sie als Medizinerin fragen, ob es möglich ist, jemanden mit so einem harmlosen Tuch umzubringen. Kann man das?«
    Die Kling sagte nichts und schaute wie hypnotisiert auf das, was er in der Hand hielt.
    Stephan übernahm die Antwort für sie: »Ja, man kann. Man muss die Enden nur lange genug zusammenziehen und festhalten, und man muss die ersten Minuten, in

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