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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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Grundstück verschafft und sich in den hinteren Garten zurückgezogen, wo er gut versteckt wartete. Sie hatten sich für einen Überraschungsbesuch am frühen Morgen entschieden, denn ihre Recherchen hatten ergeben, dass Herr Dr. Kling für zwei Tage bei einem Kongress weilte und seine Frau allein zu Hause sein würde.
    Stephan stand im ersten Dämmerlicht vor dem schmiedeeisernen Tor und hatte die Türglocke bereits vor einigen Minuten betätigt. Er wiederholte den Vorgang. Mit gleichgültiger Miene sah er die Straße entlang. Dadurch, dass ständig welke Blätter auf die parkenden Autos fielen, waren Heck und Hoff hinter der Frontscheibe kaum zu erkennen, stellte er zufrieden fest. Im ersten Stock öffnete sich plötzlich ein Fenster. Die Kling, mit feuchten Haaren und einem Handtuch über den Schultern, beugte sich heraus. Sie sagte nichts, sondern schaute nur erstaunt zu ihm hinunter. Er lächelte sie freundlich an.
    »Guten Morgen, ich hätte da noch eine Frage an Sie. Und da dachte ich, ich komme auf dem Weg zum Präsidium einfach mal auf einen Sprung vorbei.«
    »Geht das nicht irgendwann anders? Ich bin noch nicht angezogen.«
    »Ich warte gern.«
    Das Fenster schloss sich wieder. Er wartete. Zehn Minuten später stand sie, mit einem hellblauen Trainingsanzug und weißen Turnschuhen bekleidet, in der geöffneten Haustür und spähte zum Tor. Stephan trat von der Seite heran und winkte ihr zu.
    »Sie haben ja tatsächlich gewartet«, stellte sie fest und betätigte den Türöffner. »Eigentlich wollte ich jetzt laufen gehen.«
    »Es dauert nicht lange«, sagte er und folgte ihr ins Haus. Dort saß er mit ihr an einem runden Tisch im Erker zur Straße hinaus und nippte an dem grünen Tee, den sie ihm angeboten hatte. Mit den enganliegenden, feuchten Haaren und dem ungeschminkten Gesicht sah sie verletzlich aus.
    Sie spürte seinen Blick und fragte ungehalten: »Also, fangen Sie an, was gibt es so Wichtiges in aller Hergottsfrüh?«
    Er musterte sie aufmerksam und rief insgeheim ab, was er auf der letzten Fortbildung zum Thema »Körpersprache« gelernt hatte. Mit ihrer Stimme und dem regungslosen Gesicht gab sie sich den Anschein der Überlegenheit. Stephan jedoch achtete auf andere Zeichen. Sie saß ganz vorn auf der Stuhlkante, die Beine in Schrittstellung, eine Fußspitze zeigte in Richtung Tür. Alarm- und Fluchtbereitschaft, interpretierte er. Er wollte jedoch, dass sie sich überlegen fühlte. Nur aus dieser Position heraus würde sie zu Selbstüberschätzung neigen und sich zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen. Also entschloss er sich, die Schildkrötenhaltung einzunehmen. Er senkte die Schultern und zog den Kopf ein. Zufrieden registrierte er, dass sie die Wirbelsäule streckte und die Beine parallel nebeneinanderstellte. Scheinbar nervös drehte er seine Teetasse. Er streifte die Kling mit einem scheuen Lächeln und hüstelte erst ein wenig, bevor er sagte: »Es ist sozusagen in eigener Sache. Sie könnten mir helfen.«
    »Ich wüsste nicht, wie«, sagte sie kühl und nahm einen tiefen Schluck von ihrem Tee. Das Zeug schmeckt nach Fisch, dachte er und betrachtete die schlammgrüne Flüssigkeit in seiner Tasse.
    »Ich bin noch nicht lange in Offenbach. Und in einer neuen Arbeitsstelle, da möchte man möglichst schnell einen guten Eindruck hinterlassen. Allerdings ist mir gleich zu Beginn ein sehr unangenehmer Fehler passiert. Also, ich meine, in dem aktuellen Mordfall, Sie wissen schon.« Er schaute sie hilfesuchend an. Ihr Gesicht blieb regungslos. Er fuhr mit leiser Stimme fort: »Tja, also, ich hatte mich zu dicht an das Opfer begeben und den Tatort mit allerlei Spuren, die ich sozusagen selbst mitbrachte, kontaminiert.«
    Hinter der Fassade des zerknirschten Verlierers versuchte er, die Reaktionen der Kling zu studieren. Sie saß kerzengerade auf dem Stuhl. Die Schulter zu seiner Seite hin war angehoben, die andere gesenkt. Ihre Hände ruhten zu beiden Seiten der Teetasse. Beim Wort »Tatort« hatten ihre Finger ein wenig gezuckt. Ihre Mimik hingegen hatte sie unter Kontrolle.
    »Ich verstehe immer noch nicht, was Sie wollen. Jetzt kommen Sie doch endlich zur Sache!«
    Er zauberte wieder ein scheues Lächeln auf sein Gesicht und erwiderte: »Mein Chef ist über diese Angelegenheit nun wirklich nicht begeistert und hat mir aufgetragen, alle isolierten Spuren zuzuordnen, damit sie klar von den Tatortspuren getrennt werden können. Sie, als studierte Medizinerin, wissen ja, welch geringe

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