Das verschwundene Kind
nicht?«
»Wer weiß, wann wir diesen Fall endgültig erledigt haben. Und ich möchte sie jeden Tag sehen oder sprechen. Ein Tag ohne sie, das ist für mich wie, wie …« Hölzinger rang nach Worten.
Stephan unterbrach ihn grinsend. »Döner ohne Fleisch.«
»Blödmann!«
Stephans Gesicht wurde ernst. »Dich hat es ja wirklich heftig erwischt, Kollege!«
Hölzinger nickte. »Ich bin noch nie so einer Wucht von Mädchen begegnet. Alles an ihr ist perfekt. Sie ist nicht nur schön, sie ist intelligent, zuverlässig, heiter. Man spürt, dass sie aus einem warmen Nest kommt.«
Stephan runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Ihre Familie. Weißt du, ich habe so etwas noch nie erlebt. Die halten zusammen. Einer ist für den anderen da. Sie achten aufeinander. Meine Eltern ließen sich scheiden, da war ich gerade in die Schule gekommen. Ich kann mich eigentlich nur an ewigen Streit zwischen den beiden erinnern und an viele Stunden, in denen ich allein in der Wohnung hockte und darauf wartete, dass meine Mutter von der Arbeit zurückkommt. Bei den Onurhans ist irgendwie immer jemand da.«
Stephan lachte. »Und dich haben sie jetzt adoptiert.«
Hölzinger setzte eine leicht beleidigte Miene auf. »Du nimmst mich nicht ernst. Die Onurhans haben mich mit einer Herzlichkeit und einer Unvoreingenommenheit empfangen, da könnte sich in diesem Land so mancher eine Scheibe davon abschneiden.«
Stephan kniff die Augen zusammen. »Vielleicht versprechen sie sich davon, dass du an geeigneter Stelle ein gutes Wort für sie einlegst.«
»Das ist eine Unterstellung!«
»Und wenn sie merken, dass du ihrer Tochter an die Wäsche willst, verstehen sie schnell keinen Spaß mehr. Die haben da sehr strenge Regeln.«
»Das ist in Ordnung. Ich kann warten.«
Stephan schaute Hölzinger verblüfft an. »Willst du damit sagen, ihr habt noch kein bisschen mal …?«
Hölzinger nieste und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. »Nein – und außerdem geht dich das nichts an.«
Stephan schüttelte grinsend den Kopf. »Es ist in gewisser Weise beruhigend. Schließlich ist sie noch minderjährig.«
»In drei Monaten nicht mehr«, erklärte Hölzinger.
Stephan atmete seufzend tief durch. Dann schrieb er weiter an seinem Bericht. Eine Weile war nur das Klappern der Tastatur und Hölzingers Schneuzen zu hören. Beide fuhren erschrocken hoch, als die Tür aufsprang. Serafettin Gümüstekin tauchte auf.
»Hier seid ihr ja noch! Habe von eurer Aktion auf der Brücke gehört. Das war heftig! Wisst ihr, dass ihr das schon bei YouTube bewundern könnt?«
Beide nickten müde. In dem Moment meldete sich Stephans Handy. Einen Moment lauschte er schweigend, und Hölzinger und Gümüstekin beobachteten ihn gespannt. Stephan erhob sich.
»Aha, und wo genau seid ihr jetzt? … Wie? Hier auf dem Parkplatz vor dem Präsidium?«
Stephan ging zum Fenster und sah hinab. Die anderen taten es ihm nach und fanden trotz der Enge zwischen den Möbeln einen schmalen Stehplatz. Gümüstekin schob eine Topfpflanze zur Seite.
»Wer ist das da unten?«
»Ist das nicht unsere Micky Maus?«, fragte Hölzinger.
Stephan nickte. Gümüstekin musterte die beiden Kollegen verständnislos und schaute wieder hinab. Dort im schummerigen Licht der Parkplatzbeleuchtung waren zwischen den geparkten Wagen schemenhaft Gestalten zu erkennen: ein kleiner Jugendlicher, eine füllige Frau in einem langen Mantel und mit Kopftuch, ein junger Mann, der die Frau um einen Kopf überragte. Der junge Mann hielt eine Tragschale in der Hand, wie man sie für den Transport von Babys im Auto benutzte.
Stephan sagte in sein Handy: »Hör zu, Abdel, ich sag an der Pforte Bescheid, dann lässt man euch rein. Ja, zum K elf. Ich ahne da was«, flüsterte Stephan in den Raum. »Gut, dass du da bist, Sera, wir können dich gleich als Dolmetscher gebrauchen.«
»Wofür?«, fragte Gümüstekin.
Stephan antwortete: »Da kommt jetzt die Familie Ben Alhallak. Die haben uns vermutlich viel zu erzählen.«
Serafettin Gümüstekin trat einen Schritt zurück. »Das ist Arabisch, und ich bin für Türkisch zuständig.«
»Ist das nicht dasselbe?«, fragte Stephan erstaunt.
Serafettin Gümüstekin schüttelte mitleidig den Kopf. »Nein. Viel Erfolg weiterhin.« Dann ging er hinaus.
»Du musst noch viel lernen, Kollege«, flüsterte Hölzinger spöttisch.
»Ich bin gerade dabei«, entgegnete Stephan. »Ein bisschen Arabisch kann ich schon. Salamalaikum und Muktab. Da
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