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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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dein Freund Sebi phantasiert, denn so nah kann keiner von euch dran gewesen sein.«
    »Aber tot ist sie schon, oder?«
    »Ja.«
    »Aber das Baby, das sie vorher runtergeworfen hat, war nur eine Puppe.«
    Stephan fuhr herum. »Woher weißt du das schon wieder? Ich habe es selbst erst gerade erfahren!«
    »Mo hat gehört, wie die aus dem Schlauchboot den anderen zugerufen haben: Eine Puppe! Es ist nur eine Puppe!«
    »Dir entgeht ja wirklich gar nichts«, kommentierte Stephan. »Wenig«, schränkte Abdel ein.
    Eine Weile sahen sie schweigend den kleinen Wellen zu, die sich in große verwandelten, sobald eines der Schiffe vorüberfuhr. Die Fahrrinne war schon wieder freigegeben. Stephan hob den Kopf. Da oben auf der Brücke würde die Spurensicherung noch eine Weile brauchen, aber morgen würde alles wieder so sein, als sei nie etwas geschehen. Nur er selbst würde nie mehr ohne flaues Gefühl diese Brücke benutzen können. Schade eigentlich. Wie viele Orte dieser Art sammelten sich in einem Polizistenleben? Abdel war Stephans Blickrichtung gefolgt.
    »Eine Fahrspur haben sie schon wieder frei gemacht. Mann, das war vielleicht ein Megastau!«
    Abdel ließ sich von Stephans mangelnder Gesprächigkeit wenig beeindrucken, sie schien ihn eher anzuspornen.
    »Vielleicht werde ich eines Tages so wie hier am Geländer auf unserem Balkon stehen und den Schiffen auf dem Main zuschauen. Wissen Sie, drüben auf der Offenbacher Hafeninsel sollen bald neue Wohnungen gebaut werden. Meine Mutter hofft, dass wir dort dann eine mit vier Zimmern bekommen oder ein kleines Häuschen. Jedenfalls spart sie schon wie verrückt dafür. Sie geht putzen, macht Tagesmutter. Wir alle helfen sparen. Auch ich, nicht, dass Sie von mir denken, ich würde die ganze Kohle für mich nehmen.« Stephan gab einen brummenden Laut von sich, mehr nicht. Abdel legte ihm sanft eine Hand auf den Unterarm.
    »Sie sind jetzt ziemlich schlecht drauf, weil Sie denken, dass heute alles schiefgeht, nicht wahr?« Stephan antwortete nicht. Abdel fuhr fort: »So Tage gibt es. Ein Araber würde dazu sagen: Muktab – Es ist, wie es vorherbestimmt wurde. Da dürfen Sie sich nichts draus machen.«
    »Du bist gut«, schnaubte Stephan, »denkst du, das gleitet alles so an mir ab wie an einer Öl-Haut? Drei tote Frauen? Ein verschwundenes Baby?«
    Abdel horchte auf. »Ein verschwundenes Baby?«
    Stephan beobachtete Abdels Mimik. Da flackerte etwas. Sollte dieser kleine Alleswisser etwa ausgerechnet … Eigentlich war ihm die Bemerkung über das Kind nur so herausgerutscht. Eigentlich hätte er das gar nicht erwähnen dürfen. Aber eigentlich war heute sowieso alles egal.
    »Ja, wir suchen ein Baby. Es ist Hatice Ciftcis Kind und kurz nach ihrem Tod verschwunden. Wir wissen nicht, ob es tot ist oder noch lebt. Kennst du vielleicht jemanden, der in diesem Zeitraum ein Baby bei sich aufgenommen hat oder der plötzlich eines hat, das vorher nicht da war?«
    Abdel hatte kleine Steinchen aufgesammelt und warf sie ins Wasser. Einige Möwen stürzten herbei, weil sie Brotkrümel erhofften. »Hatice Ciftci hatte ein Kind? Junge oder Mädchen?«, fragte Abdel.
    »Mädchen.«
    Abdel warf alle Steine gleichzeitig ins Wasser und rieb sich die Handflächen an den Hosen ab. »Ich muss dann auch mal gehen.«
    Stephan packte ihn am Arm. »Stopp! Hier ist meine Karte, auch mit Handynummer. Wenn du etwas erfahren solltest, meldest du dich!«
    »Gibt es eine Belohnung?«, fragte Abdel.
    »Klar doch«, antwortete Stephan schnell. Notfalls aus dem Privatvermögen, dachte er.
    Abdel nickte und lief in seinem wiegenden Schritt davon.
    Stephan ließ einen letzten Blick über das Brückenpanorama gleiten. Der Nebel hatte sich verdichtet. Die gewaltigen Bögen schienen sich im Himmel aufzulösen. Er wandte sich ab und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Präsidium. Obwohl man das Offenbacher Nordend mit seinen Lagerhallen, Ladenketten, teilweise leerstehenden Bürokästen und Brachen nicht gerade als Idylle bezeichnen konnte, hing in der nachmittäglichen Herbstluft doch das Aroma von feuchtem Laub und Holzfeuer und erinnerte ihn an eine unbeschwerte Kindheit auf dem Land.
    Das half ein bisschen gegen die momentane Depression. Auch die Erinnerung an Abdel, diese geschäftige Micky Maus, hob seine Stimmung. Wie hieß noch einmal dieses arabische Wort? Wahrscheinlich hatte der Kleine recht. Es gab Dinge, die man nicht ändern konnte. Das zu ertragen, war schwer zu lernen. Die Kling hatte sich längst

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