Das verschwundene Kind
noch etwas sehen zu können. Dann machte er sich auf den Weg. Er kürzte quer über die Wiese ab und hatte sie bald eingeholt. Sie trabte gleichmäßig und schaute konzentriert vor sich hin. Er blieb dicht hinter ihr, so dicht, dass er ihr Parfum wahrnehmen konnte. Ein blumig pudriger Duft, den er unter Hunderten sofort wiedererkannt hätte, wehte ihm entgegen. Maren! Sie war es wirklich. Ihr braunes Haar wippte im Rhythmus ihrer Schritte und glänzte im Licht der Abendsonne wie frische Kastanien. Am liebsten hätte er hineingegriffen und es sich durch die Finger gleiten lassen. Als sie seiner Nähe gewahr wurde, drehte sie sich nicht nach ihm um, sondern wich auf den Rand der Wiese aus, um ihn vorbeizulassen. Wenn sie jetzt an der Wegkante stolpert und umknickt, hätten wir das perfekte Déjà-vu, dachte er in Erinnerung an die Situation, in der sie sich kennengelernt hatten. Dann überholte er sie zügig und konnte später nur noch aus der Ferne beobachten, wie sie auf einem gepflasterten Zufahrtsweg den Park wieder verließ. Wo war eigentlich dieser Vollpfosten von Hölzinger, der sie observieren sollte? Lars Stephan ärgerte sich schon jetzt über den spärlichen Bericht, der ihn morgen erwarten würde.
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Donnerstag, der 11. Oktober
T obias Hölzinger saß hinter dem Lenkrad des Dienstwagens, der auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums abgestellt war, Lars Stephan neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er hatte ihr Treffen an diesen Ort verlegt, um keine Mithörer zu haben, wenn Tobias Hölzinger ihm die Ergebnisse seiner gestrigen Observation präsentierte. Viel versprach er sich allerdings nicht davon und war umso überraschter, als Hölzinger loslegte:
»Woher du den Geheimtipp über die mögliche Tatbeteiligung dieser Frau auch hast, das war auf jeden Fall ein guter Hinweis. Die Frau hängt mit drin, da bin ich mir sicher!«
Lars Stephan schüttelte abwehrend den Kopf. »Jetzt übertreibe nicht gleich. Ich hatte angedeutet, dass sie möglicherweise etwas weiß. Möglicherweise!«
Hölzinger war etwas verdutzt über die Heftigkeit, mit der Stephan ihm die Tatbeteiligung der Frau ausreden wollte, fasste sich jedoch schnell, um seinen erfahrenen Kollegen vom Gegenteil zu überzeugen.
»Die ZP , also die Zielperson, hat sich am frühen Nachmittag mit einer blonden, etwa gleichaltrigen, etwas molligen Frau an der Station Bornheim Mitte auf der Frankfurter Berger Straße getroffen. Beide Frauen sind von dort aus mit der U 4 in die Innenstadt gefahren und haben die Kunstausstellung in der Schirn besucht. Etwa zwei Stunden später haben sie sich vor dem Museum mit einer weiteren Frau, einer schlanken Rotbraunen mit Kurzhaarschnitt und Designerbrille, getroffen. Die hat den beiden Frauen einen Kinderwagen mit einem Baby und ein etwa zweijähriges Kind übergeben. Na, merkst du langsam, was ich meine?«
»Das hört sich ziemlich genau nach einem Frauennachmittag mit Babysitting an, damit die Freundin auch mal was für sich machen kann«, brummte Lars Stephan.
Hölzinger fuhr fort: »Das Kind hat aber ziemlich geweint, als es übergeben wurde. Und geschrien! Und mit den Beinen gestrampelt!«
Lars Stephan atmete geräuschvoll aus. »Das tun die lieben Kleinen nun einmal, wenn etwas nicht nach ihrem Willen geht!«
Hölzinger schüttelte den Kopf. »Die Rotbraune, also die angebliche Mutter, hat versucht, das Kind zu beruhigen, aber ohne Erfolg, es schrie nur noch heftiger! Fraglich, ob das überhaupt die richtige Mutter war!«
Stephan gähnte unterdrückt. »Bestimmt! Dieses Schicksal teilt sie mit vielen Müttern dieser Welt. Die lieben Kleinen kreischen gerade bei der eigenen Mutter besonders laut, weil die ja am ehesten ihre Wünsche erfüllt.«
Hölzinger verzog beleidigt das Gesicht. »Na, du musst es ja wissen! Und dann ist diese Rotbraune auch noch ziemlich hastig in Richtung Römerberg verschwunden!« Der Ton, in dem Hölzinger das von sich gab, und seine Miene dazu, hätten besser zu dem Satz gepasst: Und dann hat sie ein Maschinengewehr aus der Handtasche gezückt und wild um sich geschossen.
Stephans Gesichtszüge blieben provozierend entspannt. »Verständlich, bei dem Geschrei!«
Hölzinger schlug mit den Händen auf das Lenkrad, dass der Wagen wackelte. »Was soll das auf einmal, Kollege? Gestern noch sagst du mir, die Frau hat was damit zu tun. Und kaum liefere ich dir ohne Ende Hinweise, da wiegelst du nur noch ab! Kannst du es nicht aushalten, wenn andere außer dir Fahndungserfolge
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