Das verschwundene Kind
ließ den Polizisten Stephan Koks- oder Amphetaminmissbrauch vermuten.
»Wann, sagten Sie noch, soll das gewesen sein?«, hatte Dr. Kling mindestens fünfmal gefragt.
»Vor etwa einem Jahr«, antwortete Stephan ebenso häufig.
»Nein, bedaure, ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen«, lautete Dr. Klings abschließende Antwort. »Aber ich werde in den Unterlagen nachschauen und sie Ihnen zukommen lassen, wenn Sie möchten.«
Stephan bedankte sich und überlegte, ob einige der Damen vielleicht an der Steuer vorbei ihre Arbeit leisteten und Dr. Kling möglicherweise genau wusste, dass es nichts gab, was Özlem Onurhans Präsenz an diesem Ort dokumentieren könnte.
Nachdem er sich von den Thekentäubchen mit dem erhabenen Ernst eines Fernsehkommissars verabschiedet hatte und sie ihm zum Dank bewundernd hinterhergurrten, machte er sich auf den Rückweg zum Präsidium, das in dem beschaulichen kleinen Offenbach zu seinem Bedauern nur wenige Fußminuten entfernt lag. Um die Milde dieses strahlenden Herbstnachmittags noch ein wenig genießen zu können, beschloss er, sich seinem Ziel auf Umwegen zu nähern, und bog in die Tulpenhofstraße ein. Abermals musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass es in dieser Stadt Straßenzüge gab, wie er sie in Offenbach nie vermutet hätte. Hier gab es stilvoll verwilderte Gärten und von Rankgewächsen überwucherte, alte hochherrschaftliche Häuser in äußerst gepflegtem Zustand.
Als er durch das schmiedeeiserne Tor einer Jugendstilvilla den überquellenden, blühenden Staudengarten bewunderte, fiel sein Blick auf ein Türschild aus poliertem Messing.
Dr. Anselm und Dr. Veronika Kling
war dort in zarter, verschnörkelter Schrift eingraviert. Er folgte einem Impuls und betätigte die Klingel. Kurze Zeit später wurde ihm von einer sehr schönen, blonden Frau geöffnet, die er auf Mitte vierzig schätzte. Sie war ein wenig kleiner als Lars Stephan und sehr schlank, hatte halblanges, glattes Haar und helle, grüngraue Augen mit dunkel umrandeter Iris, was diese wie arktische Eislöcher erscheinen ließ. Ihr Make-up war ausgesprochen dezent. Nur die Lippen waren in einem auffälligen Rot geschminkt. Sie gaben makellose Zähne frei, als sich die Frau mit wohlklingender Altstimme nach seinem Anliegen erkundigte. Dann bat sie ihn herein, nahm ihm mit einer sanften Bewegung die Lederjacke ab und deponierte sie auf einer kleinen Holzbank im Flurbereich. Kurze Zeit später führte sie ihn, mit katzenhaft geschmeidigen Schritten vorangehend, in das Innere des Hauses, aus dem ihm der moderig-holzige Geruch antiker Möbel entgegenströmte.
Er fühlte sich wie von einer schönen Fee entführt und hätte ihr stundenlang durch ihr Märchenschloss mit seinen teuren Vasen, verglasten Bibliotheksschränken und Silberleuchtern folgen können. Vor allem aber behagte es ihm, ihren biegsamen Körper zu betrachten und den leichten Moschusduft einzuatmen, der ihm entströmte. Ihre langen Beine steckten in hautengen Leggins und ihre zarten, schlanken Füße in schwarzen Ballerinas, was das Katzenhafte ihrer Erscheinung noch verstärkte. Darüber trug sie einen sehr engen apricotfarbenen Pullover aus weicher Wolle, der so lang war, dass er fast bis zu den Knien reichte. Dadurch spannte er über ihrem Hinterteil und gab ihm das Aussehen einer wohl gerundeten Aprikose.
Plötzlich hielt die Katzenfee inne und bot ihm einen Platz in einem schweren, alten Ledersessel an. Lars Stephan versank sofort in dem tiefen, ein wenig durchgesessenen Polster. Frau Dr. Kling setzte sich ihm gegenüber auf die vordere Kante ihres Sessels, aufrecht, mit kerzengeradem Rücken. Die Beine hatte sie ein wenig schräg gestellt, was ihre Länge besonders betonte. Die Hände waren artig über den Knien gefaltet. Sie wirkte in dieser bewusst arrangierten Bravheit extrem aufreizend. Stephans Blick verfing sich sofort an jenen, wie mit Samt überzogenen kleinen Höckern, die sich deutlich unter der dünnen Wolle abzeichneten. Dass die Brustwarzen nicht zu erkennen waren, erklärte sich Stephan damit, dass sie unter dem Pullover einen perfekt gefütterten, eng sitzenden BH trug. Seine Hochrechnung ergab, dass sie eigentlich das war, was Männer gemeinhin als »flach wie ein Bügelbrett« bezeichneten. Es sprach von höchster Kunst des Stylings, dass es dieser Frau gelungen war, dieses Nichts so wirkungsvoll in Szene zu setzen.
Konsequenterweise begann er jetzt, sie sich nackt vorzustellen, und versuchte, seine Augen
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