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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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den Träumereien eines der wortgewandtesten Autoren der Gegenwart, aber ebenso häufig auch in der Zurückgezogenheit der bescheidenen Wohnung der Cardinals in einem Haus ohne Aufzug in Brooklyn.
    Und ihre Mutter hatte Lou und Oz durch sämtliche Stadtteile New Yorks geschleift, hatte die Kinder Stück für Stück vertraut gemacht mit den verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Stufen einer urbanen Gesellschaft, denn Amanda Cardinal war als gebildete Frau selbst überaus neugierig auf solche Zusammenhänge. Die Kinder hatten in der Folge eine umfassende Allgemeinbildung erhalten; Lou hatte überdies Respekt, eine tiefe Nachdenklichkeit und das Verlangen entwickelt, ihre Mitmenschen eingehend zu beobachten.
    Aber deswegen gerade hatte sie sich nie richtig für diese Stadt begeistern können. Viel gespannter war sie jetzt auf ihr neues Ziel. Jack Cardinal hatte den größten Teil seines Erwachsenenlebens in New York City verbracht; dort war er zwar umgeben von einem unerschöpflichen Reservoir an Stoff für Geschichten, das andere Autoren auf Jahre hinaus mit guten Kritiken und finanzieller Sicherheit ausgestattet hätte, doch Jack hatte sich dafür entschieden, seine Erzählungen dort anzusiedeln, wohin seine Kinder nun unterwegs waren: in den Bergen Virginias, die im großen Zeh des topografischen Stiefels dieses Bundesstaats aufragten. Da ihr verstorbener Vater diese Gegend für wert befunden hatte, sein Lebenswerk dort anzusiedeln, war Lou die Entscheidung, dorthin zu gehen, umso leichter gefallen.
    Sie rutschte zur Seite, damit Oz aus dem Fenster schauen konnte. Falls Hoffnung und Furcht jemals als ein Gefühl zum Ausdruck gebracht werden und auf einem einzigen Gesicht Platz finden konnten, dann auf dem des kleinen Jungen. Mit jedem Atemzug sah Oz Cardinal aus, als wollte er entweder lachen, bis ihm die Rippen aus der Brust hervorbrachen, oder angesichts unsäglichen Schreckens in Ohnmacht fallen. In letzter Zeit jedoch hatte es nur Tränen gegeben.
    »Es sieht von hier kleiner aus«, bemerkte er, während er das Gesicht der Stadt zuwandte, die mit ihren Lichtern und den
    Beton- und Steinkolossen mit ihren Skeletten aus verschweißtem Stahl rasch hinter ihnen zurückblieb.
    Lou nickte beipflichtend. »Warte erst mal, bis wir die Berge Virginias sehen - die sind noch viel größer als Wolkenkratzer. Und die bleiben auch so groß, egal, aus welcher Richtung du schaust.«
    »Woher willst du das wissen? Du hast die Berge doch noch nie gesehen.«
    »Und ob ich sie gesehen habe! In Büchern.«
    »Sehen die auf Papier denn auch so groß aus?«
    Hätte Lou es nicht besser gewusst, hätte sie Oz’ Bemerkung als klugscheißerisch aufgefasst, doch sie wusste genau, dass ihr Bruder keine Spur dieses Wesenszugs besaß.
    »Glaub mir, Oz, die Berge sind groß. Und ich habe darüber auch in Dads Büchern gelesen.«
    »Aber alle Bücher hast du nicht gelesen. Dad hat mal gesagt, du wärst nicht alt genug dafür.«
    »Na ja, ein Buch hab ich ganz gelesen. Aus den anderen hat Dad mir aber Teile vorgelesen.«
    »Hast du schon mal mit dieser Frau gesprochen?«
    »Mit wem? Louisa Mae? Nein, aber sie freut sich, dass wir kommen. Das haben die Leute gesagt, die ihr geschrieben haben.«
    Oz dachte darüber nach. »Ist ’ne gute Nachricht, würd ich sagen.«
    »Aber sicher.«
    »Sieht die eigentlich so aus wie Pa?«
    Diesmal war seine Schwester aufgeschmissen. »Nun ja, ich kann nicht behaupten, dass ich sie schon mal auf ’nem Bild gesehen habe.«
    Es war klar, dass diese Antwort den kleinen Oz nun wieder beunruhigte. »Und was ist, wenn sie böse ist? Oder gruselig aussieht? Können wir dann wieder nach Hause fahren?«
    »Virginia ist jetzt unser Zuhause, Oz.« Lou lächelte ihn an. »Sie wird schon nicht so unheimlich aussehen und auch nicht böse sein. Wenn sie so wäre, hätte sie uns wohl gar nicht erst aufgenommen.«
    »Aber Hexen sind manchmal so, Lou. Denk nur an Hänsel und Gretel. Hexen überlisten einen. Die wollen dich nämlich aufessen. Das tun die alle. Ehrlich! Ich hab nämlich auch Bücher gelesen.«
    »Solange ich bei dir bin, wird keine Hexe auch nur den Versuch wagen, dich anzufassen.« Sie griff nach seinem Arm und zeigte, dass es ihr ernst war, und schließlich entspannte Oz sich wieder und schaute hinüber zu den anderen Insassen des Schlafwagenabteils.
    Die Fahrt war von Freunden Jacks und Amandas bezahlt worden; gemeinsam hatten sie keine Kosten und Mühen gescheut, die Kinder in ein gesichertes Leben zu

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