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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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Fahrgäste es nicht merkten, wechselte der Zug allmählich die Richtung, als die Gleise sich von der Innenstadt weg in Richtung Süden schlängelten. Als sie über eine Weiche rumpelten, rutschte Amandas Arm von ihrem Oberkörper und pendelte an der Seite ihres Bettes.
    Oz war einen Augenblick lang überrascht. Man konnte deutlich spüren, wie der Junge glaubte, Zeuge eines Wunders geworden zu sein, eines Wunders von biblischen Ausmaßen, ähnlich dem, als ein geschleuderter Stein einen Goliath gefällt hatte. Er schrie aus Leibeskräften: »Mom! Mommy!«, und war so aufgeregt, dass Lou ihn beinahe zu Boden gezerrt hätte. »Lou, hast du das eben gesehen?«
    Doch Lou brachte kein Wort heraus, hatte sie doch angenommen, ihre Mutter würde nie wieder solch eine Reaktion zeigen. Gerade hatte sich auch auf Lous Lippen das Wort »Mom« gebildet, als die Tür sich öffnete und die Pflegerin, von Oz’ Schrei herbeigerufen, wie eine weiße Steinlawine ins Abteil rollte. Ihr Gesicht war ein einziger schroffer Block der Missbilligung. Kleine Schwaden Zigarettenrauch waberten um ihren Kopf, als wäre jeden Moment mit einer spontanen Selbstentzündung zu rechnen. Wäre Oz nicht gerade dermaßen auf seine Mutter fixiert gewesen, er wäre beim Anblick der Frau wohl panisch aus dem Fenster gesprungen.
    »Was ist denn hier los?« Sie taumelte vorwärts, als der Zug erneut ruckelte, bevor er seine schnurgerade Bahn Richtung New Jersey fand.
    Oz ließ die Kette fallen und wies auf seine Mutter.
    »Sie hat sich bewegt. Ehrlich. Mom hat den Arm bewegt. Wir haben’s beide gesehen, stimmt’s, Lou?«
    Doch Lou konnte nur von ihrer Mutter zu Oz und wieder zurück starren. Es kam ihr vor, als hätte jemand ihr einen Pfahl durch die Kehle getrieben; sie brachte kein Wort heraus.
    Die Pflegerin untersuchte Amanda flüchtig, und ihr sauertöpfisches Gesicht wurde noch mürrischer; offenbar hielt sie die Unterbrechung ihrer Zigarettenpause für unverzeihlich. Sie legte Amandas lose baumelnden Arm zurück auf ihren Oberkörper und bedeckte ihn mit dem Bettzeug.
    »Der Zug ist bloß durch eine Kurve gefahren. Mehr war da nicht.« Als sie sich daranmachte, das Laken zu richten, entdeckte sie die Kette auf dem Abteilboden, den belastenden Beweis für Oz’ Versuch, die Rücckehr seiner Mutter in die Wirklichkeit zu beschleunigen.
    »Was ist das denn?« Zorn schwang in ihrer Stimme mit, als sie sich bückte und Beweisstück eins im Fall gegen den kleinen Jungen aufhob.
    »Ich hab’s doch nur gebraucht, um Mom zu helfen. Das ist ’ne Art« - nervös blickte Oz seine Schwester an - »’ne Art Zauber.«
    »So ein Unsinn.«
    »Ich würd’s aber gern zurückhaben.«
    »Eure Mutter befindet sich in einem katatonischen Zustand«, beharrte die Frau in einem kalten, rechthaberischen Tonfall, den sie stets dann anzunehmen schien, wenn sie den Verletzlichen und Unsicheren Schrecken einjagen wollte, und in Oz fand sie ein leichtes Opfer. »Es gibt kaum Hoffnung, dass sie jemals das Bewusstsein wiedererlangt. Und am allerwenigsten wegen einer kleinen Kette, junger Mann.«
    »Bitte, geben Sie sie mir zurück«, sagte Oz und presste die Hände wie zum Gebet zusammen.
    »Ich habe dir gerade gesagt ...« Die Frau hielt inne, als sie eine Berührung an der Schulter spürte, und drehte sich um. Lou stand ganz dicht vor ihr. Das Mädchen schien in den letzten paar Sekunden merklich gewachsen zu sein, und die Art, wie sie Kopf, Hals und Schultern vorstreckte, ließ Mut und Entschlossenheit erkennen. »Geben Sie ihm sofort die Kette zurück!«
    Das Gesicht der Pflegerin lief ob dieser Ungehörigkeit rot an. »Von Kindern nehme ich keine Anweisungen entgegen.«
    Schnell wie der Wind schnappte Lou sich die Kette, doch die Pflegerin war überraschend kräftig. Es gelang ihr, die Kette einzustecken, obgleich Lou wie eine Furie kämpfte.
    »Das hilft eurer Mutter nicht«, fauchte die Pflegerin in einer Wolke von Lucky Strike. »Jetzt setzt euch bitte hin und seid still!«
    Oz schaute seine Mutter an, und der Schmerz darüber, seinen kostbaren Quarzstein wegen der Kurve eines Eisenbahngleises verloren zu haben, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
    Lou und Oz setzten sich ans Fenster und verbrachten die nächsten träge dahingleitenden Meilen damit, stumm den Sonnenuntergang zu beobachten. Dann wurde Oz wieder zappelig, und Lou fragte ihn, was los sei.
    »Ich fühle mich schlecht, weil wir Pa so allein zurücklassen.«
    »Er ist doch gar nicht allein,

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