Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
Vom Netzwerk:
die Überlegungen von einem Verrückten. Irgend so ein Sarg wäre ja gar nicht hineingegangen.
    Zeig mal, Genossin, also das da ist diese Kurzschrift? Wie? Stenografie? Dann führ mir zum Beispiel, Genossin, vor, wie man in dieser Kurzschrift zum Beispiel das Wort … zum Beispiel … Transformator schreiben würde. Und Ameisenbär? Und Giraffe? Und Torpedozerstörer? Und Puff? Und was ist zum Beispiel mit dem Satz … Als ich drei Jahre alt war, hab’ ich Scharlach gehabt. Oder zum Beispiel … Liebling, kratz mich am Rücken. Und jetztschreib mir, Genossin, zum Beispiel den Satz auf (eine lange Pause, dann sprudelt er es schnell hervor) Gestern habe ich meiner Mutter die Kredenz angekotzt, und als sie in der Tür aufgetaucht ist, ist sie ausgerutscht …
    Also genug, Schluss mit den Späßchen, Genossen, lasst uns weiterarbeiten. Da ich hier gewisse Ungereimtheiten feststelle, schicken wir jetzt ein paar Leute in die Wohnung des Architekten Modráček.
    Sie holten sich vom Hausbesorger die Schlüssel und stiegen in den dritten Stock hinauf und sperrten das Schloss unter dem Messingschild
Ing. Arch. K. Modráček
auf. Die Genossen Kudláček und Slín ergänzten einander. Kudláček war mit einem fotografischen Gedächtnis ausgestattet und Slín wiederum mit polizeilicher Intuition. Wenn sie sie irgendwohin schickten, führte Slín dort wie einen Spürhund seine Intuition an der Leine, und Kudláček wiederum igelte sich, nachdem sie die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hatten, in Ruhe irgendwo ein und ging im Kopf nochmals Schritt für Schritt durch alle Zimmer und starrte lange auf jedes verdächtige Detail.
    Sie blickten sich im Vorzimmer um. Gleich hinter dem Kleiderständer war eine Tür zu einem kleinen Raum, der früher offenbar als Dienstmädchenzimmer gedient hatte. Slín und Kudláček durchstöberten die Kleider auf den Kleiderständern und auf den an Alustangen hängenden Kleiderbügeln. Bei dieser langen und langweiligen Arbeit – dem Durchkämmen von Taschen und Innenfutter – müssen wir sie wahrlich nicht beobachten. Hinter derGarderobe lag dann die Toilette mit einem kleinen Fenster in Augenhöhe, das in den Lichthof mündete. Kudláček stellte sich vorsichtig auf die Klomuschel, öffnete das Fensterchen und fuhr mit der Hand die Wand hinunter. In die Schächte hinter den Toilettenfenstern hängten manchmal die Klassenfeinde Päckchen mit konterrevolutionärem Inhalt. Die Wohnung war mit Doppeltüren in die Zimmer ausgestattet. Die Zimmer l-förmig miteinander verbunden. Das geräumigste, in dem neben dem Fenster zur Běhounská ein Reißbrett stand, bildete die Basis des Buchstabens, zwei sich seitlich anschließende aneinander angrenzende Zimmer hingegen seinen senkrechten Schenkel. Kudláček und Slín begannen die Zimmer systematisch zu bearbeiten. Sie holten aus Schränken, Kommoden und Tischladen Hunderte von möglichen und unmöglichen Gegenständen hervor und breiteten sie sorgfältig auf dem ganzen Fußboden aus, als würde es sich um eine große Patience handeln, bei der es reicht, manche Gegenstände mit der Vorderseite und andere wieder mit der Rückseite nach oben zu drehen. Sie rückten Stühle an die Schränke und stellten sich drauf und strichen über die Schränke und sahen sich dann ihre dreckigen Pfoten an (Architekt Modráček war nämlich ein Ferkel, und seit er seine Frau in den Untergrund befördert hatte, hatte niemand mehr auf seinen Schränken Staub gewischt). Dann wiederum begannen sie wie Krabben auf dem Fußboden herumzulaufen und fuhren mit den ihrem Vorhaben eigens angepassten flachen Händen unter Kommoden und Schränke und sondierten mit etwas Stricknadelartigem die Matratzen und die Polsterung von Sofas undArmstühlen. Sie rollten die Teppiche zusammen und klopften jedes einzelne Parkettbrett ab, und mit demselben professionellen Griff klopften sie rundherum die Zimmerwände ab.
    Siehst du den Dübel in der Decke?, zeigt Kudláček und wirft dabei den Kopf nach hinten.
    Reg dich nicht auf, die sind nämlich in allen Räumen, beruhigt ihn Slín. Das sind die Auslässe der Gasbeleuchtung. In diesen alten Mietshäusern hat es vor dem Krieg noch Gaslüster gegeben.
    Aber dann bauen sie doch eine Pyramide aus Armstühlen und Sesseln und überprüfen einen dieser Dübel mit dem Schraubenzieher. Vom Zimmer gegenüber der Eingangstür geht ein Fenster auf den Balkon. Kudláček öffnet die Tür und sieht dort haufenweise Taubendreck, und das kleine Dach über dem

Weitere Kostenlose Bücher