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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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ganze Reihe von Gründen. Der erste war selbstverständlich der, dass er seine Hilfe bei der Bestattung Leutnant Láskas brauchte, beim Schaufeln der tiefen Grube, in die der Sarg einwandfrei hineinpassen sollte. Und beim ordentlichen Fest-stampfender Erde, damit nicht das Interesse etwaiger „Goldgräber“ erregt würde. Und auch, weil er sich wünschte, es möge ein christliches Begräbnis sein, um auf diese Weise zu demonstrieren, dass sein Versprechen an seinem Ende angelangt sei und das postume Schicksal des Mörders seiner Schwester bereits in Gottes Hand. Ferner wollte er, dass sich Pater Klenovský in den beiden folgenden Tagen in seiner Wohnung einquartiere und erst am dritten Tag, wenn Modráček schon mit größter Wahrscheinlichkeit auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs sein würde, in den Keller gehe, um den Ausgang aus dem Untergrund zu öffnen und alle ans Licht Gottes herauszuführen. Ferner bat er den ehrwürdigen Vater, anschließend unter den freigelassenen Bewohnern der „unterirdischen Stadt“ – als eine Art Entschädigung – den Rest des Schmucks und des Goldes vom Bärenkäfig zu verteilen (es gab noch einen ganzen, in seiner Wohnung gleich hinter der Küchentür bereitgestellten Rucksack davon!). Wobei er Modráčeks Frau und dem Kind von Leutnant Láska besondere Aufmerksamkeit bei der Wiedergutmachung widmen solle. Einen kleineren Teil des Schatzes hatte Modráček jetzt in einer Blechdose von holländischem Kakao bei sich. Er gedachte das nämlich noch heute bei einem Juwelier in Královo Pole zu Geld zu machen und dann noch zum Zentralfriedhof zu fahren und dort für seine Schwester den Ort ihrer ewigen Ruhe für hundert Jahre im Voraus zu bezahlen. Und wenn er schon mit einem Priester am Friedhof sein würde, wollte er ihn außerdem bitten, mit ihm zum Grab zu gehen und ihm zu helfen, all das, was er jetzt seiner lieben Schwester zusagen das Bedürfnis hatte, in die Sprache des Jenseits zu übersetzen. Und schließlich war hier auch ein letzter Grund: Modráček wünschte sich sehr (aber ohne es selber so zu nennen), dem ehrwürdigen Vater zu beichten und von ihm die Absolution zu empfangen.
    Aber weil keine Zeit für jene Aussprache zwischen ihnen blieb, führten sie sie schon jetzt während der Fahrt zu Láskas künftigem Grab. Doch jedwede Absolution stieß auf ein grundsätzliches und elementares Hindernis: Modráček bestand weiterhin unerschütterlich darauf, dass es seine heilige Pflicht gewesen war, jenes Versprechen einzulösen. Und darum hatte er auch alle bis zu Láskas Tod gefangen halten müssen. Auch nur einen Einzigen von ihnen freizulassen, hätte bedeutet, dort in Kürze ein Rudel Polizisten und Geheimpolizisten zu haben. Und so hatte er durch seine Starrköpfigkeit am Ende doch einen der Bewohner der „unterirdischen Stadt“ zum Mord an Leutnant Láska getrieben, damit sich auf diese Weise die Tore von Alcatraz endlich öffneten.
    Sie fuhren durch Bystrc, und Modráček bog, einem plötzlichen Impuls folgend, ab, direkt zur Talsperre, und sie kamen so dicht an das Becken heran, dass er, als er das Autofenster öffnete, in einem großen Bogen – die Spucke flog wie ein fünfzig Jahre später auf dem nahen Golfplatz glücklich abgeschlagener Golfball – die Bitterkeit jener verfluchten Jahre in diesem Land ins Wasser spucken konnte. Und dann riss er bereits das Lenkrad nach rechts, und sie fuhren rauf nach Rozdrojovice, um dort irgendwo, vielleicht in der Nähe von Vysoká Seč, einenfriedlichen und von den Blicken der Menschen abgeschirmten Ort zu suchen, wo Modráček den Schlussakt vollbringen würde, der endlich jene Last von ihm nehmen würde, die er sich auferlegt hatte.
    Und so gelangten sie bis zu allgemeinen Betrachtungen über Schuld und Strafe und auch über die Unschuldsvermutung, einen Rechtsgrundsatz, der nichts bedeutet in einem Land, wo einem Beschuldigten überhaupt keine Schuld nachgewiesen werden muss, sondern im Gegenteil er verpflichtet ist, seine Unschuld zu beweisen. Und wo für ein Urteil ein erzwungenes Geständnis ohne jegliche Beweise genügt. Und dann erklärte Pater Klenovský Modráček auch, dass erst das Neue Testament die Unschuldsvermutung zwischen Gott und dem Menschen eingeführt habe. Und dass das noch weiter gehe, bis dorthin, wo menschliche Gerechtigkeit nicht einmal in Gedanken hinreiche. Der letzte Moment im menschlichen Leben entscheidet nämlich über Schuld oder Unschuld. Sie kennen doch die Geschichte vom

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