Das Versprechen
erhalten, mich zu untersuchen«, stellte Matthäi fest und drückte seine Zigarette aus. »Weil ich der Kantonspolizei nicht ganz >normal< scheine.«
Die beiden Männer schwiegen. Draußen stand der Nebel vor dem Fenster, stumpf, eine gesichtslose Dämmerung, die grau in das kleine Zimmer voll Bücher und Aktenstöße kroch. Dazu Kälte, muffige Luft, vermischt mit dem Geruch irgendeines Medikamentes.
Matthäi erhob sich, ging zur Türe und öffnete sie. Draußen standen zwei Männer in weißem Kittel, die Arme verschränkt.
Matthäi schloß die Türe wieder.
»Zwei Wärter. Für den Fall, daß ich Schwierigkeiten mache.«
Locher war nicht aus der Ruhe zu bringen.
»Hören Sie mal zu, Matthäi«, sagte er. »Ich will nun als Arzt zu Ihnen reden.«
»Wie Sie wünschen«, antwortete Matthäi und setzte sich.
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Ihm sei berichtet worden, fuhr Locher fort und nahm den Füllfederhalter wieder in die Hand, Matthäi habe in der letzten Zeit Handlungen begangen, die man nicht mehr als normal bezeichnen könne. Ein offenes Wort sei deshalb am Platz.
Matthäi habe einen harten Beruf, und er werde auch hart mit den Menschen verfahren müssen, die in seine Sphäre gerieten, so müsse er denn auch ihm, dem Arzt, gerechterweise verzeihen, we nn er geradeheraus rede, denn auch sein Beruf habe ihn hart gemacht. Und mißtrauisch. Es sei schließlich merkwürdig, überlege er Matthäis Verhalten, eine einmalige Chance wie dieses Jordanien fallen zu lassen, ganz unerwartet, auf Knall und Fall. Dazu die fixe Idee, einen Mörder suchen zu wollen, den man schon gefunden habe; des weiteren dieser plötzliche Entschluß, zu rauchen, dieser ebenso ungewöhnliche Hang zur Trunksucht, allein vier Doppelkognaks nach einem Liter Reserve, Mensch, Mann, das sehe doch verdammt nach sprunghafter Charakterveränderung aus, nach Symptomen einer beginnenden Erkrankung. Es liege nur in Matthäis Interesse, sich gründlich untersuchen zu lassen, damit man ein ordentliches Bild gewänne, sowohl in klinischer als auch in psychologischer Hinsicht, und er schlage ihm deshalb vor, einige Tage in Röthen zu verweilen.
Der Arzt schwieg und machte sich wieder hinter seine Papiere, kritzelte aufs neue. »Haben Sie hin und wieder Fieber?«
»Nein.«
»Sprechstörungen ? «
»Auch nicht.«
»Stimmen?«
»Unsinn.«
»Schweißausbrüche?«
Matthäi schüttelte den Kopf. Die Dämmerung und das Gerede des Arztes machten ihn ungeduldig. Er suchte tastend nach den Zigaretten. Er fand sie endlich; das brennende Streichholz, welches ihm der Arzt reichte, hielt er zitternd. Vor Ärger. Die Situation war zu einfältig, er hätte sie voraussehen müssen und einen anderen Psychiater wählen sollen. Aber er liebte diesen
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Arzt, den sie bisweilen in der Kasernenstraße mehr aus Gutmütigkeit als Sachverständigen beizogen; er hatte Zutrauen zu ihm, weil die andern Ärzte ihn gering schätzten, weil er als Sonderling galt und als Phantast.
»Erregt«, stellte der Arzt fest. Beinahe freudig. »Soll ich die Schwester rufen? Wenn Sie schon jetzt in Ihr Zimmer ...«
»Fällt mir nicht ein«, antwortete Matthäi. »Haben Sie Kognak?«
»Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel«, schlug der Arzt vor und erhob sich.
»Ich brauche kein Beruhigungsmittel, ich brauche Kognak«, entgegnete der Kommissär grob.
Der Arzt mußte eine versteckte Signalanlage bedient haben, denn in der Türe erschien ein Wärter.
»Holen Sie eine Pulle Kognak und zwei Gläser aus meiner Wohnung«, ordnete der Arzt an, rieb sich die Hände, wohl vor Kälte. »Aber dalli.«
Der Wärter verschwand.
»Wirklich, Matthäi«, erklärte der Arzt, »Ihre Einweisung scheint mir dringend nötig. Sonst stehen wir vor dem prachtvollsten seelischen und körperlichen Zusammenbruch. Den wollen wir doch vermeiden, nicht wahr? Mit einigem Schneid sollte uns das gelingen.«
Matthäi antwortete nichts darauf. Auch der Arzt schwieg. Nur einmal klingelte das Telephon, Locher nahm es ab und sagte:
»Bin nicht zu sprechen.« Draußen vor dem Fenster war es nun beinahe finster, so dunkel war dieser Abend auf einmal.
»Soll ich die Deckenbeleuchtung anzünden?« fragte der Arzt, nur um etwas zu sagen.
»Nein.«
Matthäi hatte nun seine Ruhe wieder gewonnen. Als der Wärter mit dem Kognak kam, goß er sich ein, trank aus, schenkte sich wieder ein.
»Locher«, sagte er, »lassen Sie nun Ihre Faxen mit Mann und Mensch und dalli und so weiter. Sie sind Arzt. Ist es Ihnen in
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Ihrem Beruf
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