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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Montagmorgen erhielt, waren seltsam und beunruhigend. Zuerst beschwerte sich der
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    Gemeindepräsident von Mägendorf telephonisch, Matthäi sei ins Schulhaus eingedrungen und habe eine Zeichnung des ermordeten Gritli Moser entwendet; er verbitte sich weitere Schnüffeleien der Kantonspolizei in seinem Dorfe, sie hätten nun Ruhe nötig nach all den Schrecken; abschließend und nicht sonderlich höflich teilte er mir noch mit, daß er Matthäi mit einem Hofhund aus dem Dorf jagen werde, wenn er sich dort noch einmal sichtbar mache. Dann beklagte sich Henzi, er habe mit Matthäi eine Auseinandersetzung gehabt, peinlicherweise in der »Kronenhalle«; sein ehemaliger Vorgesetzter sei sichtlich betrunken gewesen, habe einen Liter Reserve du Patron nur so hinuntergestürzt und darauf Kognak verlangt, ihn dazu einen Justizmörder genannt; seine Frau, die Hottinger, sei sehr angewidert gewesen. Das war aber noch nicht alles. Von Feller vernahm ich nach dem Morgenrapport, ausgerechnet ein Subjekt von der Stadtpolizei habe ihm berichtet, Matthäi sei in verschiedenen Bars gesichtet worden und logiere nun im Hotel Rex. Außerdem wurde mitgeteilt, daß Matthäi nun auch rauche.
    Parisiennes. Der Mann war wie verändert, wie ausgewechselt, als hätte er über Nacht einen anderen Charakter bekommen.
    Ich dachte an einen bevorstehenden Nervenzusammenbruch und rief einen Psychiater an, der öfters für uns Gutachten verfertigte.
    Zu meiner Überraschung antwortete der Arzt, Matthäi habe sich bei ihm für den Nachmittag angemeldet, worauf ich ihn über das Vorgefallene informierte.
    Darauf schrieb ich der jordanischen Gesandtschaft. Ich meldete Matthäi krank und bat um Urlaub, in zwei Monaten werde der Kommissär in Amman erscheinen.
    Die Privatklinik lag weit von der Stadt, beim Dorfe Röthen.
    Matthäi hatte die Bahn genommen und mußte eine größere Strecke gehen. Er war zu ungeduldig gewesen, auf das Postauto zu warten, das ihn denn auch bald überholte, und dem er leicht verärgert nachsah. Er kam durch kleine Bauernweiler. Am Straßenrand waren spielende Kinder, und die Bauern arbeiteten auf den Feldern. Der Himmel war verhängt, silbrig. Es war wieder kalt geworden, die Temperatur rutschte
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    dem Nullpunkt zu, glücklicherweise ohne ihn zu erreichen.
    Matthäi wanderte die Hügel entlang und bog nach Röthen in den Weg über die Ebene ein zur Heilanstalt. Als erstes fiel ihm ein gelbes Gebäude mit einem hohen Schornstein auf. Man schien einer düsteren Fabrikanlage entgegenzugehen. Aber bald wurde das Bild freundlicher. Zwar war das Hauptgebäude immer noch von Buchen und Pappeln verdeckt. Doch bemerkte er Zedern und eine riesenhafte Wellingtonia. Er trat in den Park.
    Der Weg verzweigte sich. Matthäi folgte einer Tafel: Direktion.
    Durch die Bäume und Büsche schimmerte ein kleiner See, doch war es vielleicht auch nur ein Nebelstreifen. Totenstille.
    Matthäi hörte nur seine Schritte auf dem Kies knirschen. Später war das Geräusch eines Rechens zu vernehmen. Ein Bursche war mit dem Kiesweg beschäftigt. Er führte seine Bewegungen langsam und gleichmäßig aus. Matthäi blieb unschlüssig stehen. Er wußte nicht, wohin er sich wenden mußte; eine neue Tafel sah er nicht mehr.
    »Können Sie mir sagen, wo sich die Direktion befindet?«
    wandte er sich an den jungen Mann. Der Bursche erwiderte kein Wort. Er harkte weiter, gleichmäßig, ruhig, wie eine Maschine, als hätte ihn niemand angesprochen, als wäre niemand zugegen. Sein Antlitz war ohne Ausdruck, und da seine Tätigkeit im Gegensatz zu seinen offenbar gewaltigen Körperkräften stand, wurde der Kommissär von dem Gefühl beschlichen, es drohe ihm Gefahr. Als könnte der Bursche auf einmal mit seinem Rechen losschlagen. Er fühlte sich unsicher.
    Er ging zögernd weiter und betrat einen Hof. Gleich darauf kam er in einen zweiten, größeren. Zu beiden Seiten waren Säulengänge wie in einem Kloster; doch wurde der Hof durch ein Gebäude abgeschlossen, das ein Landhaus zu sein schien.
    Auch hier war niemand zu finden, nur von irgendwoher drang eine klagende Stimme, hoch und flehend, die immer ein Wort wiederholte, immer wieder, ohne Unterlaß. Matthäi blieb aufs neue unschlüssig stehen. Eine unerklärliche Traurigkeit befiel ihn. Er war mutlos wie noch nie. Er drückte die Klinke eines alten Portales voll tiefer Risse und Schnitzereien nieder; aber die Türe gab nicht nach. Nur die Stimme war zu hören, immer
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    wieder die Stimme. Er

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