Das Versprechen
tun, da habe Matthäi recht, aber unsere erste Pflicht sei es, in unseren Grenzen zu bleiben, sonst würden wir nur einen Polizeistaat errichten.
Ich schwieg.
Draußen begannen die Kirchenglocken zu läuten.
»Ich kann verstehen, wenn Ihre persönliche - Situation -
schwierig geworden ist. Sie sind zwischen Stuhl und Bank geraten«, bemerkte ich abschließend höflich.
»Ich danke Ihnen, Herr Doktor«, sagte Matthäi. »Ich werde mich vorerst um den Fall Gritli Moser kümmern. Privat.«
»Geben Sie diese Angelegenheit lieber auf«, riet ich.
»Ich denke nicht daran«, antwortete er.
Ich zeigte meinen Unwillen nicht.
»Darf ich Sie dann nur bitten, uns damit nicht mehr zu belästigen?« fragte ich, indem ich mich erhob.
»Wenn Sie es wünschen«, sagte Matthäi. Worauf wir uns voneinander verabschiedeten, ohne uns die Hand zu reichen.
Es fiel Matthäi schwer, an seinem ehemaligen Büro vorbei das leere Polizeigebäude verlassen zu müssen. Man hatte das Schild an der Türe schon geändert, und Feller, den er traf und der sich auch sonntags hier herumtrieb, war verlegen. Er grüßte
-5 0 -
kaum, murmelte nur etwas vor sich hin. Matthäi kam sich wie ein Gespenst vor, doch war ihm vor allem der Umstand lästig, daß er nun keinen Dienstwagen zur Verfügung hatte. Er war entschlossen, so schnell wie möglich nach Mägendorf zurückzukehren; aber diesen Vorsatz konnte er nun nicht so ohne weiteres ausführen, war doch die Reise dorthin zwar nicht weit, jedoch kompliziert. Er mußte den Achter nehmen und dann in den Bus umsteigen; im Tram war auch Treuler, der mit seiner Frau zu den Schwiegereltern fuhr; er starrte den Kommissär verblüfft an, stellte aber keine Fragen; überhaupt begegnete Matthäi lauter Bekannten, so einem Professor von der ETH und einem Kunstmaler. Er gab nur vage Auskunft über seine Nichtabreise; die Situation war jedesmal peinlich, hatte man doch seine »Beförderung« und Abreise gefeiert; er kam sich gespenstisch vor, wie ein Wiederauferstandener.
In Mägendorf hatte die Kirche ausgeläutet. Die Bauern standen in ihren Sonntagsgewändern auf dem Dorfplatz oder begaben sich gruppenweise in den »Hirschen«. Es war frischer geworden als in den Vortagen, gewaltige Wolkenzüge wanderten von Westen her. Beim Moosbach spielten die Burschen schon Fußball; nichts deutete darauf, daß unweit vom Dorfe vor wenigen Tagen ein Verbrechen begangen worden war. Alles war fröhlich, irgendwo sang man »Am Brunnen vor dem Tore«. Vor einem großen Bauernhause mit Riegelmauern und einem mächtigen Dach spielten Kinder Verstecken; ein Knabe zählte mit lauter Stimme bis zehn, und die andern stoben davon. Matthäi sah ihnen zu.
»Mann«, sagte eine leise Stimme neben ihm. Er schaute sich um.
Zwischen einer Scheiterbeige und einer Gartenmauer stand ein kleines Mädchen in blauem Rock. Braune Augen, braune Haare. Ursula Fehlmann.
»Was willst du?« fragte der Kommissär.
»Stell dich vor mich«, flüsterte das Mädchen, »damit man mich nicht findet.«
-5 1 -
Der Kommissär stellte sich vor das Mädchen. »Ursula«, sagte er.
»Du mußt nicht so laut reden«, flüsterte das Mädchen, »sonst hört man, daß du mit jemandem sprichst.«
»Ursula«, flüsterte nun auch der Kommissär. »Das mit dem Riesen glaube ich nicht.«
»Was glaubst du nicht?«
»Daß dem Gritli Moser ein Riese begegnet ist, groß wie ein Berg.«
»Den gibt es aber.«
»Hast du denn einen gesehen?«
»Nein, aber Gritli hat ihn gesehen. Aber sei jetzt still.«
Ein rothaariger Junge mit Sommersprossen schlich vom Hause heran. Es war der Junge, der suchen mußte. Er blieb vor dem Kommissär stehen, schlich dann nach der andern Seite des Bauernhauses. Das Mädchen kicherte leise. »Er hat mich nicht bemerkt.«
»Gritli hat dir ein Märchen erzählt«, flüsterte der Kommissär.
»Nein«, sagte das Mädchen, »jede Woche hat der Riese aufs Gritli gewartet und ihm Igel gegeben.«
»Wo denn?«
»Im Rotkehlertälchen«, antwortete Ursula. »Und es hat ihn gezeichnet. Also muß es ihn doch geben. Und auch die Igelein.«
Matthäi stutzte.
»Es hat den Riesen gezeichnet?«
»Die Zeichnung hängt im Schulzimmer«, sagte das Mädchen.
»Geh auf die Seite.« Und schon hatte es sich zwischen der Scheiterbeige und Matthäi durchgezwängt, sprang auf das Bauernhaus zu und erreichte den Türpfosten, den es anzuschlagen galt, vor dem hinter dem Hause hervoreilenden Knaben mit Jubelgeschrei.
Die Nachrichten, die ich am
Weitere Kostenlose Bücher