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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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schritt wie schlafend durch den Säulengang. In den großen Steinvasen waren rote Tulpen, in anderen gelbe. Doch nun hörte er Schritte; ein hochgewachsener alter Herr kam würdig über den Hof.
    Befremdet, leicht verwundert. Eine Schwester führte ihn.
    »Grüß Gott«, sagte der Kommissär, »ich möchte zu Professor Locher.«
    »Sind Sie angemeldet?« fragte die Schwester.
    »Ich werde erwartet.«
    »Gehen Sie nur in den Salon«, sagte die Schwester und wies auf eine Flügeltüre, »man wird kommen.« Dann schritt sie weiter, den alten Mann am Arm, der vor sich hin dämmerte, schloß eine Türe auf und verschwand mit ihm. Die Stimme irgendwo war immer noch zu hören. Matthäi betrat den Salon.
    Es war ein großer Raum mit antiken Möbeln, mit Fauteuils und einem riesigen Sofa, über dem in einem schweren goldenen Rahmen das Porträt eines Mannes hing. Es mußte sich um den Stifter des Spitals handeln. Des weiteren hingen Bilder aus tropischen Gegenden an den Wänden, vielleicht aus Brasilien.
    Matthäi glaubte das Hinterland von Rio de Janeiro zu erkennen.
    Er ging zur Flügeltüre. Sie führte auf eine Terrasse. Große Kakteen standen auf dem Steingeländer. Doch war der Park nicht mehr zu überblicken, der Nebel hatte sich verdichtet.
    Matthäi ahnte ein weites geschwungenes Gelände mit irgendeinem Monument oder Grabmal, und, drohend, schattenhaft, eine Silberpappel. Der Kommissär wurde ungeduldig. Er zündete sich eine Zigarette an; seine neue Passion beruhigte ihn. Er ging ins Zimmer zurück, zum Sofa, vor dem ein alter runder Tisch stand mit alten Büchern; Gustav Bonnier, Flore complete de France, Suisse et Belgique. Er blätterte darin; sorgfältig gezeichnete Tafeln von Blumen, Gräsern, sicher sehr schön, beruhigend; der Kommissär wußte nichts damit anzufangen. Er rauchte eine weitere Zigarette.
    Endlich kam eine Schwester, eine kleine energische Person mit randloser Brille.
    »Herr Matthäi?« fragte sie.
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    »Gewiß.«
    Die Schwester schaute sich um. »Haben Sie kein Gepäck?«
    Matthäi schüttelte den Kopf, wunderte sich einen Augenblick über die Frage.
    »Ich möchte dem Herrn Professor nur einige Fragen stellen«, antwortete er.
    »Darf ich bitten«, sagte die Schwester und führte den Kommissär durch eine kleine Türe.
    Er betrat einen kleinen, zu seinem Erstaunen eher armseligen Raum. Nichts wies auf einen Mediziner hin. An den Wänden ähnliche Bilder wie im Salon, dazu Photographien ernster Männer mit randloser Brille und Bart, monströsen Visagen.
    Offenbar Vorgänger. Schreibtisch und Stühle waren mit Büchern überladen, nur ein alter Ledersessel blieb frei. Der Arzt saß im weißen Mantel hinter seinen Akten. Er war klein, hager, vogelartig und trug ebenfalls eine randlose Brille wie die Schwester und die Bärtigen an der Wand.
    Randlose Brille schien hier obligatorisch, vielleicht auch ein Abzeichen oder Kennzeichen eines geheimen Ordens wie die Tonsur der Mönche, was wußte der Kommissär.
    Die Schwester zog sich zurück. Locher erhob sich, begrüßte Matthäi.
    »Willkommen«, sagte er etwas verlegen, »machen Sie sich's bequem. Etwas schäbig alles. Wir sind eine Stiftung, da hapert's mit den Finanzen.«
    Matthäi setzte sich in den Ledersessel. Der Arzt zündete die Schreibtischlampe an, so dunkel war es im Zimmer.
    »Darf ich rauchen?« fragte Matthäi.
    Locher stutzte. »Bitte«, sagte er und betrachtete Matthäi aufmerksam über seine staubige Brille hinweg. »Aber Sie rauchten doch früher nicht?«
    »Nie.«
    Der Arzt nahm einen Bogen und begann zu kritzeln, irgendeine Notiz offenbar. Matthäi wartete.
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    »Sie sind am elften November 1903 geboren, nicht wahr?«
    fragte der Arzt, indem er schrieb.
    »Gewiß.«
    »Immer noch im Hotel Urban?«
    »Nun im Rex.«
    »So, nun im Rex. In der Weinbergstraße. Sie leben also stets noch in Hotelzimmern, mein guter Matthäi?«
    »Das scheint Sie zu verwundern?«
    Der Arzt schaute von seinen Papieren auf.
    »Mann«, sagte er, »Sie hausen nun schon dreißig Jahre in Zürich. Da gründen andere Familien, zeugen Nachwuchs, halten die Zukunft in Schwung. Führen Sie denn überhaupt kein Privatleben? Entschuldigen Sie, daß ich so frage.«
    »Verstehe«, antwortete Matthäi, der auf einmal alles begriff, auch die Frage der Schwester nach den Koffern. »Der Kommandant wird berichtet haben.«
    Der Arzt legte seinen Füllfederhalter sorgfältig auf die Seite.
    »Was meinen Sie damit, Verehrtester?«
    »Sie haben den Auftrag

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