Das Versprechen
Automobil mit rotem Kreuz. Die Männer standen drohend da, doch schweigend; die Frauen klebten an
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den Häusern. Auch sie schwiegen. Die Kinder waren auf die Einfassung des Dorfbrunnens geklettert. Eine dumpfe Wut, die keinen Plan hatte, rottete die Bauern zusammen. Sie wollten Rache, Gerechtigkeit. Matthäi versuchte sich zum Überfallkommando durchzuschlagen, doch war dies nicht möglich. Das beste war, den Gemeindepräsidenten aufzusuchen. Er fragte nach ihm. Niemand gab Antwort. Nur einige leise Drohworte wurden hörbar. Der Kommissär überlegte und ging ins Wirtshaus. Er täuschte sich nicht, der Gemeindepräsident saß im Hirschen. Er war ein kleiner, schwerer Mann mit ungesundem Aussehen. Er trank ein Glas Veltliner um das andere und spähte durch die niedrigen Fenster.
»Was soll ich tun, Kommissär?« fragte er. »Die Leute sind störrisch. Sie haben das Gefühl, die Polizei genüge nicht. Sie müßten selbst für die Gerechtigkeit sorgen.« Dann seufzte er:
»Das Gritli war ein gutes Kind. Wir liebten es.«
Dem Gemeindepräsidenten standen Tränen in den Augen.
»Der Hausierer ist unschuldig«, sagte Matthäi.
»Dann hättet ihr ihn nicht verhaftet.«
»Er ist nicht verhaftet. Wir brauchen ihn als Zeugen.«
Der Gemeindepräsident betrachtete Matthäi finster. »Ihr wollt euch nur herausreden«, sagte er. »Wir wissen, was wir zu denken haben.«
»Als Gemeindepräsident haben Sie vor allem für unseren freien Abzug zu sorgen.«
Der andere leerte seinen Dreier Roten. Er trank, ohne ein Wort zu sagen.
»Nun?« fragte Matthäi unwillig.
Der Gemeindepräsident blieb hartnäckig.
»Dem Hausierer geht es eben an den Kragen«, brummte er.
Der Kommissär wurde deutlich. »Dann würde es vorher zum Kampfe kommen, Gemeindepräsident von Mägendorf.«
»Ihr wollt für einen Lustmörder kämpfen?«
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»Ob er schuldig ist oder nicht, Ordnung muß sein.«
Der Gemeindepräsident ging zornig in der niedrigen Gaststube auf und ab. Er schenkte sich, da niemand bediente, an der Theke selbst Wein ein. Er trank ihn so hastig, daß große dunkle Streifen über sein Hemd liefen. Die Menge verhielt sich draußen immer noch ruhig. Doch als der Chauffeur versuchte, den Polizeiwagen in Bewegung zu setzen, schlössen sich die Reihen dichter.
Nun betrat auch der Staatsanwalt das Gastzimmer. Er hatte sich mühsam durch die Mägendorfer gezwängt. Seine Kleider waren in Unordnung geraten. Der Gemeindepräsident erschrak.
Das Erscheinen eines Staatsanwalts war ihm unbehaglich; als normalem Menschen war ihm dieser Beruf nicht geheuer.
»Herr Gemeindepräsident«, sagte der Staatsanwalt, »die Mägendorfer scheinen zur Lynchjustiz greifen zu wollen. Ich sehe keinen anderen Ausweg, als Verstärkung kommen zu lassen. Das wird euch wohl zur Vernunft bringen.«
»Versuchen wir noch einmal mit den Leuten zu reden«, schlug Matthäi vor.
Der Staatsanwalt tippte dem Gemeindepräsidenten mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Brust.
»Wenn Sie uns nicht auf der Stelle vor den Leuten Gehör verschaffen«, brummte er, »werden Sie etwas erleben.«
Draußen begannen die Kirchenglocken Sturm zu läuten. Die Mägendorfer erhielten von allen Seiten Zuzug. Sogar die Feuerwehr rückte auf und nahm gegen die Polizei Stellung. Die ersten Schimpfwörter fielen. Schrill, einzeln.
»Tschugger! Schroter!«
Die Polizisten machten sich bereit. Sie erwarteten den Angriff der Menge, die immer unruhiger wurde, doch waren sie ebenso hilflos wie die Mägendorfer. Ihre Tätigkeit setzte sich aus Ordnungsdienst und individuellen Aktionen zusammen; hier standen sie etwas Unbekanntem gegenüber. Doch erstarrten die Bauern wieder, wurden ruhiger. Der Staatsanwalt war mit dem Gemeindepräsidenten und Matthäi aus dem Hirschen
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getreten, zu dessen Haustüre eine steinerne Treppe mit einem Eisengeländer führte. »Mägendorfer«, verkündete der Gemeindepräsident, »ich bitte, den Herrn Staatsanwalt Burkhard anzuhören.«
Es war keine Reaktion der Menge sichtbar. Die Bauern und Arbeiter standen wieder wie vorher, schweigend, drohend, ohne Bewegung unter dem Himmel, der sich mit dem ersten Glanz des Abends überzog; Straßenlaternen schwankten wie blasse Monde über dem Platz. Die Mägendorfer waren entschlossen, den Menschen in ihre Gewalt zu bekommen, den sie für den Mörder hielten. Die Polizeiwagen lagen wie große dunkle Tiere inmitten der Menschenbrandung. Sie versuchten immer wieder loszukommen, die Motoren
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