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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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heulten auf und wurden mutlos wieder abgedrosselt. Sinnlos. Alles war von einer schweren Ratlosigkeit über das Geschehene dieses Tages erfüllt, die dunklen Giebel des Dorfs, der Platz, die Ansammlung der Menschen, als hätte der Mord die Welt vergiftet.
    »Leute«, begann der Staatsanwalt unsicher und leise, doch man hörte jedes Wort, »Mägendorfer, wir sind erschüttert über das scheußliche Verbrechen. Das Gritli Moser wurde ermordet.
    Wir wissen nicht, wer das Verbrechen begangen hat ...«
    Weiter kam der Staatsanwalt mit seiner Ansprache nicht.
    »Gebt ihn heraus!«
    Fäuste erhoben sich, Pfiffe ertönten.
    Matthäi schaute gebannt auf die Masse.
    »Schnell, Matthäi«, befahl der Staatsanwalt, »telefonieren Sie.
    Holen Sie Verstärkung herbei.«
    »Von Gunten ist der Mörder!« schrie ein langer, hagerer Bauer mit sonnenverbranntem Gesicht, seit Tagen nicht mehr rasiert.
    »Ich habe ihn gesehen, es war sonst niemand im Tälchen!«
    Es war der Bauer, der auf dem Felde gearbeitet hatte.
    Matthäi trat nach vorn.
    »Leute«, rief er, »ich bin Kommissär Matthäi. Wir sind bereit, den Hausierer herauszugeben!«
    So groß war die Überraschung, daß es totenstill wurde.
    -2 2 -

    »Sind Sie verrückt geworden?« zischte der Staatsanwalt dem Kommissär aufgeregt zu.
    »Seit altersher werden in unserem Lande die Verbrecher durch Gerichte abgeurteilt, wenn sie schuldig, und freigesprochen, wenn sie unschuldig sind«, fuhr Matthäi fort. »Ihr habt nun beschlossen, dieses Gericht selbst zu bilden. Ob ihr das Recht dazu habt, wollen wir hier nicht untersuchen, ihr habt euch das Recht genommen.«
    Matthäi sprach klar und deutlich. Die Bauern und Arbeiter lauschten aufmerksam. Es kam ihnen auf jedes Wort an. Weil Matthäi sie ernst nahm, nahmen sie ihn auch ernst.
    »Doch etwas«, fuhr Matthäi fort, »muß ich von euch verlangen wie von jedem anderen Gericht: Gerechtigkeit. Denn es ist klar, daß wir euch den Hausierer nur dann ausliefern können, wenn wir überzeugt sind, daß ihr die Gerechtigkeit wollt.«
    »Wir wollen sie!« schrie einer.
    »Euer Gericht hat eine Bedingung zu erfüllen, wenn es ein gerechtes Gericht sein will. Diese Bedingung heißt: Das Unrecht muß vermieden werden. Dieser Bedingung habt auch ihr euch zu unterwerfen.«
    »Angenommen!« schrie ein Vorarbeiter der Ziegelfabrik.
    »Ihr müßt deshalb untersuchen, ob dem von Gunten Recht oder Unrecht geschieht, wenn er des Mordes beschuldigt wird.
    Wie ist der Verdacht entstanden?«
    »Der Kerl hat schon einmal gesessen«, schrie ein Bauer.
    »Das erhöht den Verdacht, von Gunten könnte der Mörder sein«, erläuterte Matthäi, »aber es ist noch kein Beweis, daß er es wirklich ist.«
    »Ich habe ihn im Tälchen gesehen«, rief der Bauer mit dem sonnenverbrannten, struppigen Gesicht abermals.
    »Kommen Sie herauf«, forderte ihn der Kommissär auf.
    Der Bauer zögerte.
    »Geh, Heiri«, rief einer, »sei kein Feigling.«
    -2 3 -

    Der Bauer kam herauf. Unsicher. Der Gemeindepräsident und der Staatsanwalt waren in den Hausgang des Hirschen zurückgetreten, so daß Matthäi mit dem Bauern allein auf der Plattform stand.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte der Bauer. »Ich bin der Benz Heiri.«
    Die Mägendorfer starrten gespannt auf die beiden. Die Polizisten hatten ihre Gummiknüttel wieder eingehängt. Auch sie beobachteten den Vorgang atemlos. Die Dorfjugend war auf die Leiter des Feuerwehrwagens geklettert, die halb hochgefahren war.
    »Sie haben den Hausierer von Gunten im Tälchen beobachtet, Herr Benz«, begann der Kommissär. »War er allein im Tälchen?«
    »Allein.«
    »Was arbeiteten Sie, Herr Benz?«
    »Ich setzte mit meiner Familie Kartoffeln.«
    »Seit wann taten Sie das?«
    »Seit zehn Uhr. Ich habe auch mit der Familie auf dem Felde zu Mittag gegessen«, sagte der Bauer.
    »Und Sie haben niemand außer dem Hausierer beobachtet?«
    »Niemand, das kann ich beschwören«, beteuerte der Bauer.
    »Das ist doch Unsinn, Benz!« rief ein Arbeiter. »Um zwei bin ich an deinem Kartoffelacker vorbeigekommen!«
    Es meldeten sich zwei weitere Arbeiter. Auch sie hatten um zwei mit dem Fahrrad das Tälchen passiert.
    »Und ich bin mit dem Fuhrwerk durchs Tälchen gekommen, du Trottel«, schrie ein Bauer hinauf. »Aber du arbeitest ja immer wie verrückt, du Geizhals, und deine Familie muß schuften, daß allen der Rücken krumm geworden ist. Hunderte von nackten Weibern könnten an dir vorbeiziehen, und du würdest nicht

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