Das Versprechen
Bewegung. Die Polizisten saßen schweigend. Draußen war es nun Nacht geworden. Die Straßenlampen warfen goldene Lichter über die starren Gesichter. Matthäi fühlte das Mißtrauen, das jedermann dem Hausierer gegenüber hegte, den Verdacht, der aufstieg. Er tat ihm leid.
»Ich glaube Ihnen, von Gunten«, sagt er und spürte, daß er auch nicht ganz überzeugt war, »ich weiß, daß Sie unschuldig sind.«
Die ersten Häuser der Stadt rückten heran.
»Sie werden noch dem Kommandanten vorgeführt werden müssen, von Gunten«, sagte der Kommissär, »Sie sind unser wichtigster Zeuge.«
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»Ich verstehe«, murmelte der Hausierer, und dann flüsterte er wieder: »Auch Sie glauben mir nicht.«
»Unsinn.«
Der Hausierer blieb hartnäckig. »Ich weiß es«, sagte er nur leise, fast unhörbar und starrte in die roten und grünen Lichtreklamen, die nun wie gespenstische Gestirne in den gleichmäßig dahinrollenden Wagen strahlten.
Dies waren die Vorgänge, die mir in der Kasernenstraße rapportiert wurden, nachdem ich aus Bern mit dem Halbachtschnellzug zurückgekommen war. Es handelte sich um den dritten Kindermord dieser Art. Vor zwei Jahren war ein Mädchen im Kanton Schwyz und vor fünf eines im Sankt-Gallischen mit einem Rasiermesser getötet worden, vom Täter keine Spur. Ich ließ den Hausierer vorführen. Der Mann war achtundvierzig, klein, fettig, ungesund, wohl sonst geschwätzig und frech, doch nun verängstigt. Seine Angaben vorerst klar. Er habe am Waldrand gelegen, die Schuhe ausgezogen, den Hausiererkorb ins Gras gestellt. Er habe beabsichtigt, Mägendorf zu besuchen, dort seine Waren, Bürsten, Hosenträger, Rasierklingen, Schnürsenkel usw. abzusetzen, doch unterwegs vom Briefträger erfahren, daß Wegmüller in den Ferien sei und Riesen ihn vertrete. So habe er eben gezögert und sich ins Gras geworfen; unsere jungen Polizisten würden meist von Anwandlungen der Tüchtigkeit befallen, er kenne die Herrschaften. Er habe vor sich hin gedöst. Das kleine Tal im Schatten der Wälder, von einer Straße durchzogen. In nicht allzu großer Ferne eine Bauernfamilie auf dem Felde, von einem Hunde umkreist. Die Mahlzeit im »Bären« in Fehren sei opulent gewesen, Berner-platte und Twanner; er liebe es, üppig zu speisen, habe auch durchaus die Mittel, denn so unrasiert, ungepflegt und verlumpt er im Lande herumhantiere, sein Aussehen täusche, sei er doch einer jener Hausierer, die verdienten und etwas auf der Seite hätten. Dazu sei viel Bier gekommen, und, als er schon im Gras lagerte, zwei Tafeln Lindt-Schokolade. Der heranziehende Sturm, die Windstöße hätten ihn dann vollends eingeschläfert. Doch sei es ihm wenig später gewesen, ein Schrei hätte ihn geweckt, der helle Schrei
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eines kleinen Mädchens, und es habe ihm geschienen, als er schlaftrunken das Tal hinaufstarrte, als ob die Bauernfamilie auf dem Felde einen Moment verwundert hingehorcht hätte; dann sei sie, von ihrem Hund umkreist, gleich wieder in ihre gebückte Stellung verfallen. Irgendein Vogel, sei es ihm durch den Kopf geschossen, ein Käuzchen vielleicht, was habe er gewußt.
Doch habe ihn die Erklärung beruhigt. Er habe weitergedöst, aber dann, als ihm die plötzliche Totenstille der Natur aufgefallen sei, auf einmal den nun schon finsteren Himmel wahrgenommen. Darauf sei er in die Schuhe geschlüpft und habe sich den Korb umgehängt, unzufrieden und argwöhnisch, denn der geheimnisvolle Vogelschrei sei ihm aufs neue in den Sinn gekommen. Er habe sich deshalb entschlossen, es doch besser nicht mit Riesen zu versuchen, Mägendorf Mägendorf sein zu lassen. Ein unrentables Nest sei es ja immer gewesen.
Er habe darauf in die Stadt zurückkehren wollen und den Waldweg als Abkürzung zur SBB-Station genommen, worauf er auf die Leiche des ermordeten Mädchens gestoßen sei. Dann sei er nach Mägendorf in den »Hirschen« gerannt und habe Matthäi informiert; den Bauern habe er nichts gesagt, aus Angst, verdächtigt zu werden. Dies seine Aussage. Ich ließ den Mann abführen, aber noch nicht gehen. Vielleicht nicht ganz korrekt. Der Staatsanwalt hatte die Untersuchungshaft nicht angeordnet, doch hatten wir keine Zeit, zimperlich zu sein.
Seine Erzählung kam mir zwar wahrheitsgetreu vor, mußte aber noch nachgeprüft werden, und dann war von Gunten schließlich vorbestraft. Ich war schlechter Laune. Ich hatte kein gutes Gefühl bei diesem Fall; alles war irgendwie schiefgegangen, ich wußte nur nicht wie; ich spürte
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