Das verwundete Land - Covenant 04
Zürne mir nicht. Ich ...«
»Sie war da! Hier in diesem Tal!« Lena hatte ihn damit geheilt.
Nassic errang für einen Moment so etwas wie Würde. »Ich kenne keine Heilerde. Ich bin ein alter Mann, aber ich habe noch nie von dergleichen reden hören.«
»Verdammnis!« brauste Covenant auf. »Als nächstes wirst du wohl behaupten, du hättest noch nie von der Erdkraft gehört.«
Der Alte schien zusammensacken zu müssen. »Erdkraft?« meinte er kaum vernehmlich. »Erdkraft?«
Covenants Fäuste drückten seinen Kummer und seine Entgeisterung Nassics dürren Armen ein. Linden sprang an seine Seite, suchte seinen Griff zu lösen. »Covenant! Er sagt die Wahrheit.« Covenants Blick fuhr wie eine Peitsche in Lindens Gesicht. Sie preßte angestrengt die Lippen aufeinander, wich jedoch nicht zurück. »Er weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
Damit brachte sie ihn zur Ruhe. Er glaubte ihr; sie vermochte die Wahrheit in Nassics Stimme zu hören, so wie sie seinen Schnitten ansah, sie waren nicht infiziert. Keine Heilerde? Ihm war, als blute er inwendig. Vergessen? Verloren? Bilder der Schändung suchten ihn heim. Erbarmen. Das Land ohne Heilerde. Ohne Erdkraft? Die Gewichtigkeit von Nassics Enthüllung war für ihn zuviel. Er sank auf den Fußboden wie ein Invalide.
Linden stand neben ihm. Sie bemühte sich sichtlich um Erkenntnisse, Entschlüsse; aber er war nicht dazu in der Lage, ihr zu helfen. »Nassic«, sprach sie einen Moment später den Alten an. Ihr Ton war streng. »Hast du etwas zu essen?«
»Essen?« entgegnete er, als habe sie ihn an seine Unzulänglichkeit erinnert. »Ja. Nein. Es ist unwürdiges Zeug.«
»Wir brauchen irgend etwas zu essen.«
Ihre Feststellung blieb ohne Widerspruch. Nassic verneigte sich, ging zur Wand gegenüber und begann den Regalen robuste Schüsseln und Töpfe zu entnehmen. Linden kam zu Covenant, kniete sich vor ihn. »Was ist?« erkundigte sie sich beunruhigt. Offenbar konnte er nicht verhindern, daß die Verzweiflung, die er empfand, sich in seinem Gesicht widerspiegelte. »Was ist denn nicht in Ordnung?«
Covenant mochte darauf nicht antworten. Zu viele Jahre hatte er, bedingt durch seine Leprose, in Isolation zugebracht; Lindens Bemühen, ihn zu verstehen, verstärkte bloß seinen Schmerz. Er konnte es nicht ertragen, sich so zu entblößen. Ebensowenig jedoch vermochte er der Härte von Lindens Mund, ihren sanften Augen zu widerstehen. Ihr Leben stand genauso wie seines auf dem Spiel. »Später«, sagte er unter Aufbietung einiger Willenskraft. Seine Stimme mußte sich durch seine Zähne zwängen. »Ich brauche erst einmal Zeit, um darüber nachzudenken.«
Linden preßte die Kiefer aufeinander; Düsternis verwundete ihre Augen. Covenant schaute beiseite, um sich nicht zum Sprechen gezwungen zu fühlen, bevor er die Selbstbeherrschung vollständig zurückgewonnen hatte.
Kurz darauf brachte Nassic Schüsseln voller Dörrfleisch, Früchten und ungesäuertem Brot, die er äußerst zaghaft anbot, als bezweifle er nicht, daß derlei Speisen es verdienten, vom Ur-Lord zurückgewiesen zu werden. Linden nahm, was Nassic ihr bot, mit gequältem Lächeln entgegen; doch der Alte wagte sich nicht zu rühren, bis Covenant sich aufraffte und zum Zeichen seiner Billigung nickte. Danach erst nahm der Greis Töpfe, um Regenwasser aufzufangen, damit sie zu trinken bekamen.
Covenant stierte sein Essen an, ohne es zu sehen, ohne davon zu kosten. Er hatte das Gefühl, keinen Grund zu haben, sich die Mühe zu machen und etwas zu essen. Doch er wußte, das war nicht wahr; vielmehr stak er randvoll mit Gründen. Aber die Unmöglichkeit, ihnen allen gerecht werden zu können, ließ seine Entschlossenheit wanken. Hatte er tatsächlich seine Seele dem Verächter verkauft ...?
Doch er war Lepraleidender; viele Jahre waren darüber verstrichen, für seine Hilflosigkeit Lösungen zu finden. Lepra war unheilbar. Daher mußten sich Leprotiker einer harten Disziplin unterwerfen, um zu lernen, ihren unmittelbaren Bedürfnissen peinlich genaue Aufmerksamkeit zu schenken. Sie mußten die abstrakte Ungeheuerlichkeit ihrer Bürde ignorieren und ganz in der Gegenwart leben, sich auf jeden einzelnen Moment konzentrieren. An dieser pragmatischen Weisheit hielt er sich fest. Er kannte keine andere Antwort. Desinteressiert schob er sich ein Stück einer Frucht in den Mund und fing zu kauen an. Danach halfen Gewohnheit und Hunger ihm nach. Vielleicht war seine Antwort nicht besonders gut; aber sie gab ihm Halt,
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