Das verwundete Land - Covenant 04
... Nichts haben wir getan! Andere Bauten sind zu Ruinen verfallen, geweihte Räume ...« Fieberhaft schüttelte er die Fackel. »Wir haben nichts getan. Nichts während Dutzender von Geschlechterfolgen. Nur diese elende Behausung ist geblieben ... deiner unwürdig. Wir haben nicht an die Verheißung geglaubt, die uns vertrauensvoll überliefert worden ist ... Geschlechterfolge um Geschlechterfolge von Freischülern, zu memmenhaft, um selbst auf die stolzesten Weissagungen Vertrauen zu setzen. Wie recht wäre es von dir getan, mich zu zerschmettern!«
»Dich zerschmettern?« Covenant war entrüstet. »Nein.« Hier gab es zu vieles, das er nicht verstand. »Was ist los? Warum fürchtest du dich vor mir?«
»Covenant«, sagte Linden plötzlich sehr leise. »Sehen Sie mal. Seine Hand.« Wasser troff von der Gestalt des Alten; Wasser sickerte an ihnen allen dreien hinab. Aber die Tropfen, die vom unteren Ende der Fackel fielen, waren rot.
»Ur-Lord!« Der Mann warf sich auf die Knie. »Ich bin unwert.« Er bibberte vor innerem Aufruhr. »Ich habe mir Kenntnisse aus dem Wissen der Verderbten angeeignet, Kraft wider das Sonnenübel von jenen verschafft, welche die Verheißungen schmähen, die zu hüten ich geschworen habe. Ach, verschone mich! Ich bin zutiefst beschämt.« Er ließ die Fackel fallen, zeigte Covenant die linke Hand. Die Fackel erlosch in derselben Sekunde, als sie seiner Faust entfiel. Sobald sie am Boden aufschlug, löste sie sich in Asche auf. Der Handteller des Alten hatte zwei lange Schnittwunden. Blut quoll daraus hervor, als wolle es sich niemals stillen lassen.
Covenant schrak zurück. In der Ferne rumpelte wütiger Donner. Von der Fackel war nichts außer Asche übrig. Sie war nur dank der Kraft, die der Alte ihr zugeführt hatte, zusammengehalten worden, nur durch sie in einem Stück und entflammt geblieben. Kraft aus seinem Blut? Um Covenants Hirn schien sich auf einmal alles zu drehen. Eine plötzliche Erinnerung an Joan kam ihm – an Joan, wie sie ihm den Handrücken aufkratzte, seine blutigen Finger ableckte. Schwindel beraubte ihn seines Gleichgewichts. Schwerfällig setzte er sich nieder, sackte mit dem Rücken an die nächstbefindliche Wand. Der Regen erzeugte in seinen Ohren einen Hall. Blut? Blut?
Linden untersuchte die Hand des alten Knaben. Sie hielt sie in den Feuerschein, spreizte die Finger; ihr Griff um sein Handgelenk verlangsamte den Blutstrom. »Die Verletzungen sind sauber.« Ihre Stimme klang ausdruckslos und unpersönlich. »Man muß einen Verband anlegen, um die Blutung zu stoppen. Aber sie sind nicht infiziert.«
Nicht infiziert , wiederholte Covenant bei sich. Seine Gedanken hinkten wie Krüppel. »Woran sehen Sie das?«
Linden konzentrierte sich auf die Wunden. »Was?«
Mühselig faßte Covenant zu einem vollständigen Satz zusammen, was er meinte. »Woran erkennen Sie, daß die Schnitte nicht infiziert sind?«
»Keine Ahnung.« Seine Frage, so hatte es den Anschein, verdutzte Linden. »Ich kann's sehen. Ich sehe ...« Ihre Verwunderung nahm zu. »... den Schmerz. Aber die Schnitte sind sauber. Wieso ...? Können Sie's nicht sehen?«
Covenant schüttelte den Kopf. Lindens Äußerungen bestätigten seinen anfänglichen Eindruck; ihre Sinne stellten sich auf die Verhältnisse im Land ein. Seine dagegen nicht. Warum nicht? Er schloß die Lider. In ihm pochte altes Selbstmitleid. Er hatte vergessen gehabt, wie peinvoll Gefühllosigkeit sein konnte. Einen Moment später bewegte sich Linden umher; Covenant hörte, wie sie in der Räumlichkeit nach irgend etwas suchte. Als sie an die Seite des Alten zurückkehrte, zerriß sie ein Tuch, um die Fetzen als Verband zu verwenden.
Du wirst nicht scheitern ... Covenant hatte das Gefühl, bereits als verloren aufgegeben worden zu sein. Diese Vorstellung war wie in sein wundes Herz gestreutes Salz. Rauch? Blut? Es gibt nur einen Weg, um einen Menschen zu verletzen, der bereits alles verloren hat. Man gibt ihm etwas zerbrochen zurück. Verdammnis!
Der Alte versuchte, Covenants Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er hatte sein nasses graues Haupt auf den steinernen Fußboden gesenkt. Seine Hände tasteten nach Covenants Stiefeln. »Ur-Lord«, stöhnte er. »Ur-Lord ...! Endlich bist du gekommen. Das Land ist gerettet.«
Seine Unterwürfigkeit brachte Covenant von seinen Überlegungen ab. Er durfte es sich nicht erlauben, sich von Unwissenheit oder Verlusten unterkriegen zu lassen. Und erst recht konnte er es nicht ertragen, wie
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