Das vierte Opfer - Roman
Rühme.«
»Ich weiß«, sagte Bausen, der mit der Befragung der Nachbarn fertig war. »Sie können solange zu Frau Clausewitz reingehen, die gibt Ihnen auch etwas Heißes zu trinken.«
Eine rundliche Frau lugte hinter ihm hervor.
»Komm her, kleine Beatrice«, sagte sie und hielt eine gelbe Decke hoch. »Komm her, dann wird Tante Anna sich um dich kümmern.«
Frau Linckx erhob sich auf unsicheren Beinen und ging folgsam hinterher.
»Es gibt auch noch Güte auf der Welt«, sagte Bausen. »Das sollten wir nicht vergessen. Wollen wir mal nachsehen? Ich habe Bang gesagt, er soll hier draußen aufpassen.«
Van Veeteren schluckte und schaute durch die Türöffnung hinein.
»O Scheiße«, sagte Kommissar Bausen.
Maurice Rühmes Leiche lag direkt hinter der Tür, und auf den ersten Blick sah es so aus, als hätte auch der letzte Blutstropfen seinen Körper verlassen. Der Auslegteppich im Flur, vier, fünf Quadratmeter groß, war so durchtränkt, daß sich seine ursprüngliche Farbe kaum erraten ließ. Van Veeteren und Bausen blieben auf der Türschwelle stehen.
»Wir müssen auf die Spurensicherung warten«, sagte Van Veeteren.
»Da sind ein paar Abdrücke.« Bausen deutete auf sie.
»Ich sehe sie.«
»Ungefähr der gleiche Hieb...«
Das schien zu stimmen. Rühme lag auf dem Bauch, die Arme
unter dem Körper, als wäre er nach vorn gefallen, hätte sich aber nicht richtig abstützen können. Der Kopf hing zwar noch am Hals, aber es fehlte auch diesmal vermutlich nicht viel, daß er abgefallen wäre. Das Gesicht war zur Seite gedreht, schaute ein wenig nach oben, und die weitaufgerissenen Augen schienen auf einen Punkt in Höhe von Kommissar Bausens Knie zu starren. Aus der Halsöffnung war nicht nur Blut geströmt, sondern auch Essensreste, wie es schien... und da war ein fleischiges Teil, das irgendwo dranhing, und von dem Van Veeteren annahm, daß es die Zunge sein mußte.
»Er muß schon eine Weile hier gelegen haben«, sagte Bausen. »Riechst du es?«
»Mindestens vierundzwanzig Stunden«, stimmte Van Veeteren zu. »Kommt die Spurensicherung nicht bald?«
»In fünf Minuten, nehme ich an«, sagte Bausen und schaute auf die Uhr. »Jedenfalls hatte ich hinsichtlich der Waffe recht...«
Denn das war das Neue diesmal. Bei Maurice Rühme hatte der Mörder sich nicht mit einem Hieb begnügt... der erste Hieb war zwar tödlich gewesen, aber er hatte noch einen weiteren ausgeteilt. Diesmal ins Steißbein, wo er seine Waffe zurückgelassen hatte.
Sie schien immer noch festzustecken. Der Griff zeigte schräg nach oben. Er erinnerte an eine Art grotesken, auf dem Kopf stehenden Phallus, und an dem wenigen, was von der Klinge zu sehen war, konnte man erkennen, daß sie ungefähr so geschaffen war, wie Bausen und Meuritz es sich vorgestellt hatten.
Ein kurzer Schaft. Breite, solide Klinge. Ein Schlachterwerkzeug offenbar, eines von höchster Qualität.
»Verdammte Scheiße!« wiederholte Polizeichef Bausen. »Erträgst du es wirklich, dir das hier anzugucken?«
»Nein«, sagte Van Veeteren.
17
Die Autobahn war endlos.
Endlos und unveränderlich grau. Zwar waren es nur noch sechzig Kilometer bis zur Abfahrt Bokkenheim und Kaalbringen, aber er wünschte sich immer noch, er könnte die letzte halbe Stunde aus seinem Leben streichen. Hätte nicht hinterm Steuer sitzen und einen Kilometer nach dem anderen herunterreißen müssen, eine Minute nach der anderen verstreichen lassen müssen... während die Traurigkeit und die Müdigkeit wie eine dunkle Wolkenbank hinter seinen Augen lauerte. Dunkel und hinterhältig.
Er war früh aufgestanden. Synn und die Kinder hatten noch geschlafen, als er losfuhr. Der Streit vom Vorabend hatte ihn davon abgehalten, Synn zu wecken. Doch schon als er rückwärts aus der Garageneinfahrt fuhr, wußte er, daß das ein Fehler gewesen war.
Aber vielleicht war es ihr ja genauso gegangen... vielleicht hatte sie nur so getan, als schliefe sie, als er im Schlafzimmer herumschlich und seine Tasche packte. Woher sollte er das wissen?
Auf jeden Fall war ihm klar, daß er anrufen mußte, sobald er angekommen war. Er wollte das nicht so stehen lassen. Konnte es einfach nicht ertragen, daß sie sich überworfen hatten, dieses schlechte Gewissen und all die unausgesprochenen Widersprüche... nicht zwischen Synn und ihm. Bei anderen konnte so etwas geschehen, aber doch nicht bei ihnen! Darin waren sie sich immer einig gewesen. Er und seine schöne Synn ...
Wenn man es recht bedachte, hatte
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