Das vierte Opfer - Roman
richtig eingelebt hatte.«
»Wo da unten?«
»Wo? Na, in Spanien natürlich.«
»Hatten Sie Simmels Adresse in Spanien?«
»Nein, nein, der Kontakt lief immer über den Anwalt, über Klingfort. Warum wollen Sie das wissen?«
Van Veeteren antwortete nicht. Statt dessen stellte er eine neue Frage.
»Was hatten Sie für einen Eindruck von Herrn und Frau Simmel?«
Mandrijn schaute aus dem Fenster.
»Das bleibt aber unter uns?« fragte er nach einer Weile.
»Ja.«
»Keinen besonders guten, muß ich gestehen. Sicher waren sie nicht wirklich unangenehm, aber unsympathisch, ja irgendwie ordinär. Reich und billig... keine Klasse, wenn man so etwas überhaupt sagen darf. Vor allem er natürlich.«
»Warum sind sie zurückgekommen?«
Mandrijn zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Anfang Dezember ließen sie uns mitteilen, daß sie nach Hause zurückkommen wollten und das Haus am ersten Februar zurückhaben wollten. Ziemlich kurze Frist natürlich, eine reichlich fiese Art das Ganze, aber wir wollten keinen Ärger. Wir hatten ja schon das Grundstück gekauft, und so mußten wir eben schneller loslegen...«
Van Veeteren überlegte.
»Sie haben nicht vielleicht eine Theorie, warum Ernst Simmel umgebracht wurde?«
Wenn er jetzt »Wahnsinniger« oder »Keine Ahnung« antwortet, ist er der fünfzigste, dachte Van Veeteren. Mandrijn zögerte eine Weile, während er sich das Ohrläppchen rieb.
»Doch«, erklärte er dann überraschenderweise. »Ich habe darüber nachgedacht. Ich glaube, es war einfach jemand, der es nicht ertragen konnte, ihn wieder hier in der Stadt zu sehen.
Er war ein Arschloch, Herr Hauptkommissar. Ein richtiges Arschloch.«
Wirklich? dachte Van Veeteren.
Auf dem Rückweg machte er einen Umweg. Er brauchte Bewegung und einen gewissen Abstand, das lag auf der Hand, vielleicht wäre er am liebsten geflohen... das war keine besonders überraschende Feststellung. Nichts, über das man sich wundern mußte. Er schlug ein paar unbekannte Wege ein, was natürlich nicht schwer war, ging durch neue Gegenden und Außenbezirke, und schließlich befand er sich oben auf dem Hügel, mit der Stadt in Vogelperspektive unter sich.
Hier herrschte die Natur, es gab keine Bebauung. Er folgte dem schmalen Waldstreifen nach Osten hin bis zu dem Restaurant, von dem Bausen gesprochen hatte. Ging hier oben in der Abgeschiedenheit langsam spazieren, die Hände auf dem Rücken, den Wind im Gesicht. Einige Bäume ließen nach dem trockenen Sommer bereits ihre Blätter fallen, und er dachte... plötzlich dachte er, daß eine Art Ankündigung in der Luft lag, ein Vorzeichen. Natürlich alles reine Einbildung, aber Vorahnungen sind nun einmal so. Bei der Klosterruine setzte er sich mit einer Zigarette und nicht ausformulierten Fragen hin, und erst als er in der Ferne Hundegebell hörte, stand er auf und begann die in den Fels gehauenen Treppenstufen hinunterzuklettern. Sie waren direkt in den Kalkstein geschlagen, glatt und rutschig.
Das wäre der ideale Platz, um jemanden verunglücken zu lassen, dachte Van Veeteren.
Unten kam er direkt beim Friedhof an, dem der Pieterskirche, wenn er sich recht erinnerte... direkt am Meer lagen die Gräber, man hatte den Bereich, bevor er als Friedhof benutzt werden konnte, sicher einst eingeebnet und stufenweise angelegt. Er dachte eine Weile darüber nach, wie es da unten in dieser losen, herangekarrten Erde zwischen all den Särgen und Unterhöhlungen wohl aussah. Schräg über den Gräbern sah er
plötzlich die Umrisse von See Wharf, und da beschloß er, eine Abkürzung zu nehmen.
Er ging quer über den Friedhof, im Zickzack, den kiesbelegten Wegen folgend. Las zerstreut eine Jahreszahl hier, einen Namen dort, aber erst als er am Ende angekommen war und eine Hand auf die Torklinke aus Eisen gelegt hatte, entdeckte er ihn – den kräftigen Rücken von Kommissar Bausen, der mit gesenktem Kopf an einem Grabstein stand.
Was hatte er gesagt? Vor zwei Jahren?
Er konnte nicht genau sehen, ob der Polizeichef tatsächlich betete, er nahm es kaum an, aber auf jeden Fall lag etwas Feierliches und Vergeistigtes über seiner Person, etwas fast Friedvolles, und für einen kurzen Moment spürte er einen Stich von Neid. Hastig beschloß er, sich nicht zu erkennen zu geben. Den Kommissar an dem Grab in Ruhe zu lassen.
Wie kann man auf einen Mann neidisch sein, der um seine Ehefrau trauert? dachte er und trat durch das Tor hinaus. Manchmal verstehe ich mich selbst nicht mehr.
Im
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