Das vierte Opfer - Roman
Seldonheim in Kirkenau untergebracht, nach einem Unfall in der Kindheit geistig retardiert.«
»Was für ein Unfall?« fragte Münster, und Van Veeteren schrieb etwas auf seinen Block.
»Er ist kopfüber von der Kanzel in der Pieterskirche gefallen«, erklärte Beate Moerk. »Vier Meter tief direkt auf den Steinboden. Das weiß sogar ich. Das gehört zu den regionalen Sensationen, wenn man so will.«
»Hrrm«, sagte Bausen. »Maurice Rühme wurde also in seiner Wohnung in der Leisner Allee 6 tot aufgefunden von seiner Lebensgefährtin Beatrice Linckx, dreißig Jahre alt, Psychologin, beschäftigt dort draußen in Kirkenau.«
»Aha«, sagte Van Veeteren.
»Sie fand ihn am Donnerstag abend irgendwann kurz nach elf Uhr, also vorgestern, als sie von einem dreitägigen Seminar in Kiel zurückkam. Sie scheint einen ziemlichen Schock abbekommen zu haben, jedenfalls ging sie wieder raus, setzte sich in ihr Auto und wartete zwei Stunden, bevor sie uns benachrichtigte. Bang, der Dienst hatte, nahm das Gespräch um 01.11 Uhr entgegen.«
»Das stimmt«, sagte Bang.
»Van Veeteren und ich, wir kamen gut zwanzig Minuten später dort an«, fuhr Bausen fort, »und konnten feststellen, daß
unser Freund, der Henker, wieder einmal zugeschlagen hatte. Möchte der Herr Hauptkommissar weitermachen?«
»Allright«, sagte Van Veeteren und nahm den Zahnstocher aus dem Mund. »Das Interessanteste ist sicher die Waffe, wie ich annehme. Die Techniker sind immer noch mit ihr beschäftigt, aber daß er sie diesmal zurückgelassen hat, könnte darauf hindeuten, daß er jetzt fertig ist, daß er nicht gedenkt, noch weitere Köpfe abzuschlagen. Aber das ist natürlich nur eine Hypothese. Wie dem auch sei, es handelt sich hier um eine verflucht effektive Waffe... leicht und handlich und mit einer phantastischen Schärfe.«
»Ein Kind könnte damit töten«, sagte Bausen.
»Rühme hatte schon ziemlich lange im Flur gelegen, als wir kamen«, fuhr Van Veeteren fort. »Ist das da ein Tablett mit Kopenhagenern, was ich hinter Polizeianwärter Bang sehe?«
»Mooser, gehst du und kümmerst dich um Kaffee«, bat Bausen, und der Angesprochene verschwand durch die Tür. Bang öffnete das Paket und schnupperte gehorsam.
»Treffer«, entschied er.
»Also«, fuhr Van Veeteren fort, »auch wenn Meuritz noch nicht das letzte Wort gesprochen hat, so können wir doch davon ausgehen, daß Rühme seit mindestens vierundzwanzig Stunden dort gelegen hat, bevor wir kamen.«
»Seit dem späten Mittwochabend«, sagte Bausen. »Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß das der Zeitpunkt war, an dem er zugeschlagen hat. Außerdem haben wir ja noch diesen Zeugen...«
»Herrn Moen«, sagte Beate Moerk, »der in Anbetracht der Umstände recht klar zu sein schien...«
»Können wir erst das Technische hinter uns bringen«, sagte Bausen. »Kropke, du hast mit dem Labor geredet?«
Mooser kam mit einem Kaffeetablett zurück und reichte die Becher in die Runde.
»Ja«, sagte Kropke. »Die sind auch noch nicht fertig... mit der Waffe, meine ich. Alle blutigen Abdrücke auf dem Boden
stammen mit größter Wahrscheinlichkeit von Frau Linckx. Die Fußabdrücke, der Abdruck der Tasche... sie haben nichts gefunden, das nicht von ihr oder ihm stammt. Was die Waffe betrifft, so haben wir es hier mit einer Art Spezialwerkzeug zum Fleischzerteilen zu tun, das schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Es war nirgends ein Firmenzeichen oder ähnliches zu finden, offensichtlich hat er das weggeschliffen, aber wenn wir Glück haben, können wir doch noch herauskriegen, woher sie stammt... in ein paar Tagen, glauben sie.«
»Warum, zum Teufel, hat er sie dagelassen?« fragte Bausen. »Kann mir das jemand sagen?«
»Hybris«, sagte Beate Moerk. »Er will uns zeigen, daß er schlauer ist als wir... daß wir ihn nie zu fassen kriegen.«
»Das ist vermutlich richtig«, sagte Van Veeteren, und Münster fragte sich, auf welchen Teil von Inspektor Moerks Behauptung sich diese Äußerung bezog.
»Ein paar mehr Fakten bitte, bevor wir anfangen zu spekulieren«, sagte Bausen. »Wie ging die Tat vonstatten, Herr Hauptkommissar?«
»Der Hieb hat ihn von oben getroffen, jedenfalls mit höchster Wahrscheinlichkeit«, sagte Van Veeteren. »Ist ungefähr wie bei den früheren Fällen abgelaufen... mit dem gleichen Resultat. Er war sofort tot.«
»Von oben?« fragte Kropke. »Klingt das nicht ziemlich unwahrscheinlich? Es gab doch keinerlei Zeichen von Streit... oder Widerstand, soweit
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