Das vierte Opfer - Roman
Bewegung bleiben, wenn wir den Fall hier lösen wollen.«
»Kann sein, ja«, sagte Münster.
Der Speisesaal des See Wharf war fast leer, als sie sich an einem der Fenster niederließen. Nur Cruickshank und Müller lümmelten an einem Tisch weiter hinten herum, jetzt in Gesellschaft eines Mannes und einer Frau von TV6. Van Veeteren hatte schon mit allen vieren im Zusammenhang mit der Pressekonferenz vor ein paar Stunden gesprochen, und keiner von
ihnen machte irgendwelche Anstalten, die Mittagsruhe der beiden Kriminalbeamten zu stören.
»Außerhäuslichen Vergnügungen scheint man in dieser Stadt nicht mehr nachzugehen«, stellte Van Veeteren fest, als er sich umschaute. »Die Leute denken nicht logisch. Das letzte Mal hat er doch in der Wohnung zugeschlagen ... in Rühmes nämlich.«
Münster nickte.
»So langsam fange ich an zu glauben, daß es sich hier um eine ganz sonderbare Geschichte handelt«, fuhr Van Veeteren fort und nahm sich von dem Salat. »Die haben ausgezeichneten Fisch hier, vor allem Steinbutt, falls du Vorlieben in dieser Richtung hast.«
»Sonderbar in welcher Beziehung?« fragte Münster wohlerzogen.
»Weiß der Teufel«, sagte Van Veeteren kauend. »Es ist nur so ein Gefühl, aber ich habe ja immer so meine Ahnungen.«
Münster lehnte sich dicht an die Glasscheibe, um hindurchschauen zu können. Das Meer sah dunkel und unruhig aus. Bereits am Vormittag war das Wetter umgeschlagen. Wolkenbänder waren von Nordosten im reinsten Pendelverkehr hereingekommen, und ein Regenschauer hatte den ganzen Tag über den nächsten abgelöst. Die Boote im Jachthafen schaukelten in den hohen Wellen, und Münster kam es plötzlich so vor, als gerieten die Elemente in Wut, als protestiere die Natur höchstpersönlich gegen das Tun und Treiben der Menschen... gegen Mörder, die frei herumliefen, und noch gegen das eine und andere sonst.
Oder ging es eher um Synns und sein Verhalten? Er hatte sie immer noch nicht sprechen können und verspürte langsam eine Aversion gegenüber den selbstgefälligen Äußerungen des Hauptkommissars. Obwohl er ja eine gewisse Erfahrung damit hatte, so lief es doch immer ab... und er hoffte, daß es auch wieder wie immer sein würde, wenn er nur endlich Synn an die Strippe kriegen würde. Es erschien ihm etwas unsolidarisch,
um es einmal höflich auszudrücken, hier herumzusitzen und sich über sein Privatleben Sorgen zu machen, während die Leute von ihm erwarteten, daß er sein Bestes tat, um dem Henker Fallen zu stellen – oder dem Wahnsinnigen mit der Axt, wie er im Augenblick meistens genannt wurde.
»Ich steige durch das Motiv nicht durch«, sagte Van Veeteren. »Schließlich muß er doch einen guten Grund dafür gehabt haben, drei Menschen den Kopf abzuschlagen.«
»Du glaubst nicht an einen Wahnsinnigen?«
»Das habe ich keine Sekunde lang«, sagte Van Veeteren. »Im Gegenteil, ich glaube, es handelt sich um äußerst sorgfältig geplante Taten. Er hatte die Absicht, genau diese drei umzubringen: Eggers, Simmel und Rühme, und das hat er auch gemacht. Wir kriegen ihn nicht zu fassen, wenn wir nicht das Motiv finden, Münster. Das Motiv!«
»Und es stehen keine weiteren mehr auf der Liste?«
Der Hauptkommissar trank von seinem Bier und schaute aufs Meer.
»Weiß der Teufel«, meinte er. »Wir müssen uns einfach hinsetzen und alles noch einmal genau betrachten. Es gibt einige unterschiedliche Varianten, und ich möchte, daß wir überlegen, welche Prioritäten wir setzen sollen.«
»Welche Varianten?« fragte Münster pflichtschuldigst.
»Tja«, überlegte Van Veeteren, »so aus dem Ärmel geschüttelt, komme ich auf zwei. Die erste ist natürlich, daß es einen klaren, offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Opfern gibt, daß er einen triftigen Grund dafür hatte, gerade diese drei umzubringen. Bisher wissen wir ja noch nicht, um welches Glied es sich hierbei handelt, aber gut möglich, daß es uns ganz selbstverständlich erscheint, sobald wir es finden. Und dann haben wir ihn.«
Münster nickte.
»Moerks Idee?« fragte er.
»Ja, genau«, sagte Van Veeteren. »Das ist doch das einzige, was wir bisher haben. Alle drei sind in diesem Jahr nach Kaalbringen
gezogen, das ist unbestreitbar. Das kann natürlich ein Zufall sein, aber das glaube ich nicht. Es ist ein Hinweis, aber was, verdammt noch mal, können wir damit anfangen?«
»Nicht besonders viel«, sagte Münster.
»Nein«, seufzte Van Veeteren. »Wir brauchen mehr. Aber vielleicht verbindet
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