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Das vierte Opfer - Roman

Das vierte Opfer - Roman

Titel: Das vierte Opfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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warme Brise«, sagte Van Veeteren und hob seine Nase in den Wind. »Obwohl sie aus dem Norden kommt. Ungewöhnlich... irgendwo in der Natur ist etwas nicht im Gleichgewicht. Ich glaube, ich gehe am Strand entlang.«
    »Bis später«, sagte Münster und stieg ins Auto.
     
    Im Foyer traf er auf Cruickshank, der mit einigen Abendzeitungen unterm Arm auf dem Weg zur Bar war. Die anderen Zeitungsleute waren bereits vor ein paar Tagen abgereist, nur Cruickshank zögerte noch aus irgendwelchen Gründen seine Abreise hinaus.
    »Guten Abend, Herr Kommissar. Was Neues?«
    Münster schüttelte den Kopf.
    »Warum hängen Sie hier eigentlich immer noch herum?« fragte er statt dessen. »Sie haben doch schon seit mehr als einer Woche nichts geschrieben, oder?«

    »Auf eigenen Wunsch«, erklärte Cruickshank. »Bei mir zu Hause ist es im Augenblick etwas schwierig.«
    »Ach?« bemerkte Münster.
    »Meine Frau will mich nicht daheim haben.«
    »Ach so«, sagte Münster.
    »Und ihr?« fragte Cruickshank. »Bei euch ist es auch nicht besonders witzig, wie ich mir vorstellen kann?«
    Münster dachte nach.
    »Nein. Witzig ist wohl nicht das richtige Wort.«
    Cruickshank seufzte und zuckte mit den Schultern.
    »Jedenfalls habe ich vor, mich für eine Weile an die Bar zu setzen. Sie sind jederzeit herzlich willkommen.«
    »Danke«, sagte Münster. »Ich muß vorher noch einiges lesen, aber vielleicht später.«
    Cruickshank schlug ihm auf den Rücken und bog zur Bar ab. Er verströmte einen deutlichen Cognacgeruch, wie Münster feststellte, als er an ihm vorbeiging. Wahrscheinlich seine Art, die Sache hier zu überleben. Er ging zur Anmeldung und holte sich seinen Schlüssel.
    »Einen Moment«, sagte das Mädchen und bückte sich hinter dem Tresen. »Da ist eine Mitteilung für Sie.«
    Er nahm einen weißen Briefumschlag entgegen und steckte ihn in die Tasche. Oben auf seinem Zimmer riß er ihn mit einem Stift auf und las:
    Hallo!
Ich habe mir gerade den Aarlachbericht angeguckt.
Dabei ist mir was aufgefallen.
Ziemlich bizarr, aber ich muß das erst noch mal
überprüfen.
Bin nach dem Jogging so gegen acht wieder zu Hause.
Ruf mich bitte an.
Gruß B.
    Er sah auf die Uhr. Zwanzig nach sieben. War da wirklich was zu finden? Er fingerte an dem Papierstapel auf seinem Nachttisch herum... das wäre eine Gnade ...
    Er würde gleich einen Blick hineinwerfen. Aber zuerst mußte er noch mit Synn telefonieren.
     
    Van Veeteren ging an der westlichen Mole vorbei, dann zum Strand hinunter. Die Dämmerung hatte eingesetzt, aber noch war mit einer Stunde Tageslicht zu rechnen. Es würde zwar dunkler werden, aber zur Orientierung würde es reichen. Die warme Brise war hier unten noch deutlicher zu spüren, und er überlegte eine Weile, ob er sich nicht die Schuhe ausziehen und barfuß im Sand laufen sollte... im warmen Sand ganz oben vor der Mauer. Aber er verwarf den Gedanken wieder. Das Meer wirkte träge, wie in den Wochen, als er im Ferienhaus gewesen war, die Wellen waren unruhig und ziellos, ohne jedes Leben.
    Wir haben genug voneinander, das Meer und ich, dachte er, und wurde sich bewußt, daß er dieses Gefühl aus den Sommern seiner Kindheit kannte. Wenn er sich nach Hause sehnte... sich nach drinnen sehnte, wie er es damals immer ausdrückte. Wenn er davon träumte, daß die Ewigkeit schrumpfen und überschaubar werden würde. Er wollte einen Rahmen um all das Zeitlose und Gewaltige bilden, das draußen am Uferband unter dem Himmel immer nur wuchs und wuchs.
    War es jetzt auch wieder so?
    War es ganz einfach schwieriger, Dinge hier draußen am Meer in den Griff zu kriegen? Besagte dieser unendliche graue Spiegel, daß alles unbegreiflich war und nicht mehr zu meistern. . . daß dieser Fall deshalb so erschreckend hoffnungslos war? Reinhart würde ganz sicher behaupten, daß genau hier – wo Land, Meer und Himmel aufeinandertrafen – jedes Ding erst sein wahres Gewicht und seine echte Bedeutung bekäme.
    Seinen Namen und seine Bestimmung.
    Schwer zu sagen. Vielleicht war es ja auch genau umgekehrt.
Jedenfalls war deutlich zu spüren, wie die Gedanken und Überlegungen ineinander verflossen und verschwammen. Wenn er der leicht gewellten Uferlinie, die sich weit hinten bei der westlichen Mole im zunehmenden Dunst verlor, mit dem Blick geradewegs folgte, erschien es ihm schwerer denn je, sich zu konzentrieren und seinen Verstand in eine bestimmte Richtung zu lenken. Es war, als würde alles einfach aufgesogen und verschwände in der

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