Das vierte Opfer - Roman
letzte Stück, an das wartende Auto und eine heiße Dusche trugen sie hinauf und gaben ihr auf angenehme Weise Antrieb. Aber auch wenn sie nicht so müde gewesen wäre und auch wenn die Lichtverhältnisse an diesem lauwarmen Septemberabend etwas vorteilhafter gewesen wären, ist es mehr als fraglich, ob sie das dunkle Stahlseil rechtzeitig hätte sehen können.
Es war knapp unter Kniehöhe gespannt, ganz am Ende des Hügels... genau dort, wo das dichte Laub einer Linde die Dämmerung noch einmal durch seinen Schatten verstärkte. Sie fiel der Länge nach zu Boden, und bevor sie überhaupt begriff, was passiert war, war er bereits über ihr.
31
»Ich glaube, wir müssen die Presse bitten, uns für eine Weile in Ruhe zu lassen«, sagte Van Veeteren, während er eine Hand auf Cruickshanks Schulter legte. »Aber Ihren Stuhl nehme ich gern.«
Münster schaute auf. Der Hauptkommissar hatte den Melnikbericht unterm Arm und machte einen verkniffenen Eindruck. Das Netzwerk geplatzter Äderchen war von Rot in Blau übergegangen. Die Tränensäcke unter den Augen trugen deutliche Trauerränder. Ein gutes Zeichen, ohne Zweifel.
»O Scheiße«, sagte Cruickshank. »Dann ist der Durchbruch nach sieben mageren Jahren endlich gelungen? Darf man als erster gratulieren? – Wie heißt er denn?«
»Wer?« fragte Münster.
»Der Henker natürlich«, erklärte Cruickshank.
»Sie kriegen morgen ein Exklusivinterview«, versprach Van Veeteren. »Wenn Sie jetzt ein braver Junge sind und schlafen gehen.«
Cruickshank kippte die Reste seines Whiskys hinunter und stand auf. Er wankte etwas, und für einen Moment sah es so aus, als müßte er auf dem Stuhl wieder notlanden, aber dann faßte er sich. Er schüttelte den Kopf und räusperte sich.
»All right«, sagte er. »Gentlemen’s agreement. Gute Nacht, meine Herren. Ihr kennt meine Zimmernummer.«
Er bedankte sich bei Münster für die nette Gesellschaft und stolperte hinaus.
»Armer Teufel«, meinte Münster.
»Warum das?« fragte Van Veeteren. »Bestell mir mal ein großes Bier!«
»Nun?« fragte Van Veeteren und schlürfte den Schaum von seinem Seidel. »Die Jugend voran. Was hast du gefunden?«
Münster holte den Papierstapel hervor und blätterte darin.
»Ja«, sagte er. »Da ist einmal dieser Podworsky...«
Der Hauptkommissar nickte.
»Eugen Podworsky, ja. Was hältst du von dem?«
»Ich weiß nicht viel über ihn«, erklärte Münster. »Aber zumindest gibt es eine Verbindung. Ich nehme an, die anderen, die Inspektoren und Bausen, können das besser beurteilen. Wenn er hier im Ort bekannt ist, meine ich...«
Van Veeteren zündete sich eine Zigarette an.
»Ich habe eben mit Bausen gesprochen«, sagte er. »Er meint, es sei zumindest vorstellbar. Der richtige Typ, wie es scheint ... ein Einzelgänger, der draußen auf der Heide bei Linden wohnt. Ungefähr fünfzig Kilometer ins Landesinnere hinein. Er hat auch schon mal wegen Diebstahl gesessen, aber das ist schon eine Ewigkeit her... ja, das könnte eine Spur sein. Der könnte es sein.«
»Bösartig?« fragte Münster.
»Jedenfalls nachtragend laut Bausen. Und offensichtlich auch nicht ganz richtig in der Birne. Er hat nicht viel Kontakt zu anderen Menschen. Ist vorzeitig in Rente, ich glaube seit 1980. Nun ja, wir werden uns das morgen mal angucken... es wäre sicher nicht dumm, wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht
haben, bevor wir uns auf ihn werfen. Er kann uns eine ganze Menge Unannehmlichkeiten bereiten, auch wenn er es nicht ist, meint Bausen.«
Münster nickte. Der Hauptkommissar trank in großen Zügen von seinem Bier und schmatzte zufrieden.
»Verflucht noch mal, Münster«, sagte er. »Wenn ich diesem Typen endlich direkt in die Augen sehen kann, werde ich schon merken, ob er es ist oder nicht. Es ist langsam an der Zeit, nach Hause zu fahren, oder was meinst du?«
Münster rutschte unruhig hin und her.
»Was ist denn?« fragte Van Veeteren. »Hast du was auf dem Herzen?«
»Nur eine Kleinigkeit«, zögerte Münster. »Hat bestimmt nichts zu bedeuten. Ich habe eine Mitteilung von Inspektorin Moerk gekriegt. Ihr ist was aufgefallen, und sie hat mich gebeten, sie anzurufen...«
»Ja, und?«
»Nun ja, sie antwortet nicht. Sie wollte gegen acht Uhr zu Hause sein, und ich habe es schon mehrmals versucht.«
Van Veeteren schaute auf die Uhr.
»Fünf nach elf«, stellte er fest. »Versuch es noch mal, bevor du ins Bett gehst. Da ist sicher nur ein Mann im Spiel.«
Ja, dachte Münster. Mit
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