Das vierte Opfer - Roman
Rand seiner Brille hinweg und zog eine Augenbraue hoch.
»Tut mir leid«, erklärte er. »Aber ich wollte erst einmal abchecken, wen zum Teufel sie uns hergeschickt haben. Bevor wir uns mit den anderen treffen, meine ich. Prost!«
»Prost«, sagte Van Veeteren.
Er lehnte sich auf dem Korbstuhl zurück und leerte die halbe Flasche in einem Zug. Die Sonne hatte während der ganzen Fahrt geschienen; sie hatte zwar nicht länger als eine Stunde gedauert, aber er fühlte, wie ihm das Hemd am Rücken klebte.
»Die Hitze dauert an, fürchte ich.«
Der Polizeichef beugte sich vor und versuchte einen Zipfel Himmel zwischen den Ästen der Bäume zu erspähen.
»Ja«, nickte Van Veeteren. »Ein schönes Plätzchen ist das hier.«
»Ja, nicht schlecht«, bestätigte Bausen. »Wenn man erst einmal im Dschungel sitzt, wird man meistens in Ruhe gelassen.«
Das schien zu stimmen. Ein gut getarntes Nest, ohne Zweifel. Die schmutziggelbe Markise, struppiges Gebüsch und Rosen, die ein Spalier hinaufkletterten, das dichte, hohe Gras,
ein schwerer Spätsommerduft, Bienen, die summten... Und dann der Platz selbst: acht, zehn Quadratmeter groß; Steinplatten und eine ausgefranste Schilfmatte, zwei abgewetzte Rohrstühle, ein Tisch mit Zeitungen und Büchern, Pfeife und Tabak. An der Hauswand stand ein schiefes Regal, voll mit Malutensilien, Pinseln, Blumentöpfen, noch mehr Zeitungen und anderem Krempel... ein Schachbrett lugte hinter ein paar Kästen mit leeren Gläsern hervor. Doch, der Platz hatte was. Van Veeteren zog einen Zahnstocher hervor und schob ihn sich zwischen die Vorderzähne.
»Etwas zu essen?« fragte Bausen.
»Nur wenn ich noch etwas bekomme, um es runterzuspülen. Ich glaube, die hier ist schon leer.«
Er stellte die leere Flasche auf den Tisch. Bausen klopfte seine Pfeife sauber und stand auf.
»Wollen mal sehen, was sich da machen läßt.«
Er verschwand im Haus, und Van Veeteren konnte ihn in der Küche rumoren hören, wobei er etwas sang, das an die Caprifischer erinnerte.
Ja, ja, dachte er und faltete die Hände hinter dem Nacken. Es hätte schlimmer kommen können. Er hat jedenfalls noch einiges, was ihm bleibt.
Und plötzlich ging ihm auf, daß ihn von Bausen kaum mehr als acht, zehn Jahre trennen konnten.
Er lehnte Bausens Angebot, bei ihm zu wohnen, ab, wenn auch zögerlich. Vielleicht gab es ja später noch eine Möglichkeit, darauf zurückzukommen. Auf jeden Fall hoffte er, daß der Polizeichef eine Tür für ihn offen hielt... wenn es eine langwierigere Sache werden würde.
Statt dessen nahm er sich ein Zimmer im See Wharf. Im vierten Stock mit Balkon und Abendsonne. Blick über den Hafen, die Anleger und die Bucht und weiter aufs offene Meer. Auch das kein schlechter Ort, das mußte er zugeben. Bausen deutete aufs Meer hinaus.
»Dort kannst du Lange Piirs sehen, den Leuchtturm... aber nur an einem klaren Morgen. Im letzten Jahr war das viermal der Fall. Dort oben auf den Klippen liegt Fisherman’s Friend, das Gourmetrestaurant. Vielleicht können wir uns dort mal einen Abend gönnen, wenn wir feststecken in den Ermittlungen.«
Van Veeteren nickte.
»Nun, jetzt wäre es wohl an der Zeit, mit der Arbeit anzufangen?«
Bausen zuckte mit den Achseln.
»Nun ja, wenn der Hauptkommissar darauf besteht.« Er schaute auf die Uhr. »O Scheiße, ich fürchte, die warten schon seit einer halben Stunde auf uns!«
Die Polizeiwache in Kaalbringen bestand aus einem zweistöckigen Eckhaus am Hauptmarkt. Die Rezeption, Kantine, Umkleideraum und einige Arrestzellen befanden sich im Erdgeschoß. Ein Konferenzraum und vier Arbeitszimmer im ersten Stock. Kraft seines Amtes gehörte Bausen natürlich das größte, mit Schreibtisch und Bücherregalen in dunkler Eiche, einem abgesessenen Ledersofa und dem Blick über den Markt. Die Inspektoren Moerk und Kropke hatten beide jeweils ein kleineres Zimmer zum Hof hin, während die Polizeianwärter Bang und Mooser sich das vierte teilten.
»Darf ich Hauptkommissar Van Veeteren vorstellen, er soll den Fall hier für uns lösen«, erklärte Bausen.
Moerk und Kropke erhoben sich.
»Es ist Bausen, der die Fäden in der Hand hat«, wehrte Van Veeteren ab. »Ich bin nur als Unterstützung herbeigerufen worden. . . wenn die denn nötig sein sollte.«
»Das ist sie ganz bestimmt«, sagte Bausen. »Das hier ist nämlich das ganze Team. Plus die Anwärter natürlich, aber auf die würde ich nicht allzu große Hoffnungen setzen, wenn ich dir einen Tip geben
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