Das vierte Protokoll
Millionen Heimen im ganzen Land; es schmetterte durch die Wohnung im neunten Stock von Fontenoy House und wurde dann vom Glückwunschgebrüll übertönt. Rawlings stellte den Schalter auf »Ein«.
Niemand außer Rawlings selbst hörte den dumpfen Knall. Er wartete sechzig Sekunden, dann zog er seine Schnur aus der Dose und arbeitete sich wieder bis zum Safe vor, wobei er unterwegs sein Werkzeug aufsammelte. Die Rauchschwaden verzogen sich. Von dem Plastikbeutel und der Gallone Wasser waren nur ein paar feuchte Flecken übriggeblieben. Die Safetür sah aus, als hätte sie ein Riese mit einer stumpfen Axt von oben bis unten gespalten. Rawlings blies einige noch verbliebene Rauchfahnen weg und schlug den kleineren Teil der Tür an den Scharnieren zurück. Das Weißblechgehäuse war durch die Explosion weggeblasen worden, doch alle Bolzen in dem anderen Teil der Tür steckten in ihren Löchern. Die Öffnung war so groß, daß er hineinspähen konnte. Eine Geldkassette und ein Samtbeutel; er zog den Beutel heraus, löste die Verschnürung und leerte den Inhalt auf den Couchtisch.
Sie glitzerten und blitzten im Licht, als enthielten sie ihr eigenes Feuer. Die Glen-Diamanten. Rawlings packte den Rest der Ausrüstung - die Schnur, die leere Zünderschachtel und das übriggebliebene CLC - wieder in die falsche Champagnerflasche, als er sich einem unerwarteten Problem gegenübersah. Den Anhänger und die Ohrringe würde er in den Hosentaschen unterbringen, aber das Diadem war breiter und höher, als er gedacht hatte. Er sah sich nach einem unauffälligen Behälter um. Er lag in einigen Schritten Entfernung auf dem Schreibtisch.
Rawlings leerte den Inhalt des Diplomatenkoffers in die Schale eines Sessels, eine Ansammlung von Brieftaschen, Kreditkarten, Füllern, Adreßbüchern und ein paar Aktenordner.
Der Koffer war genau richtig. Er faßte den ganzen Glen- Schmuck und die Champagnerflasche, die ja seltsam angemutet hätte, wenn man Rawlings damit hätte weggehen sehen. Nach einem letzten Rundblick schaltete Rawlings das Licht im Salon aus, trat auf die Diele und schloß die Tür. Als er im Treppenhaus stand, sperrte er den Wohnungseingang mit dem Chubb-Schloß wieder zu, und sechzig Sekunden später schlenderte er an der Portiersloge vorbei in die Nacht hinaus. Der alte Mann sah nicht einmal auf.
Es war fast Mitternacht an jenem ersten Januartag, als Philby sich in Moskau an seinen Wohnzimmertisch setzte. Er war am vergangenen Abend bei den Blakes zu seinem Besäufnis gekommen, hatte es aber nicht einmal genossen. Seine Gedanken waren zu sehr mit dem Bericht für den Generalsekretär beschäftigt. Am Vormittag hatte er sich von seinem unvermeidlichen Katzenjammer erholt, und jetzt, nachdem Erita und die Jungen schliefen, konnte er sich in Muße überlegen, was er schreiben würde.
Plötzlich ertönte ein Gurren; Philby stand auf, ging zu dem großen Käfig in der Ecke und blickte durch die Stäbe auf eine Taube, die ein geschientes Bein hatte. Er war immer ein Tiernarr gewesen. In Beirut hatte er eine Füchsin gehabt, und hier in dieser Wohnung hielt er sich eine ganze Reihe von Kanarienvögeln und Papageien. Die fußkranke Taube watschelte über den Boden ihres Käfigs.
»Schon gut«, sagte Philby, »bald bist du sie los, und dann kannst du wieder herumfliegen.«
Er kehrte an seinen Tisch zurück. Der Bericht mußte gut sein, sagte er sich zum hundertsten Mal. Der Generalsekretär konnte sehr unangenehm werden, wenn man ihn täuschte oder enttäuschte. Einige der höheren Luftwaffenleute, die 1983 bei der Verfolgung und dem Abschuß des koreanischen Passagierflugzeugs solchen Pfusch gemacht hatten, waren auf seine persönliche Empfehlung hin in kalten Gräbern unter dem ewigen Frost der Kamtschatka gelandet. Wenn ihm auch seine Gesundheit zu schaffen machte und er einen Teil seiner Zeit im Rollstuhl verbrachte, so arbeitete sein Gehirn doch noch mit der Präzision eines Computers, und seinen blassen Augen entging nichts. Philby nahm Papier und Bleistift und machte sich an die Ausarbeitung seiner Antwort.
Vier Stunden später - in London war immer noch der 1. Januar - kehrte der Inhaber der Wohnung in Fontenoy House kurz vor Mitternacht allein in die Hauptstadt zurück. Der große grauhaarige, distinguiert aussehende Mann fuhr direkt in die Tiefgarage, deren Tor er mit seiner Plastikkarte öffnete, nahm seinen Koffer aus dem Wagen und trug ihn zum Aufzug. Er war miserabel gelaunt.
Nach einem heftigen Streit mit
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