Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
findet. Mein Herz und mein Heim werden Euch immer offenstehen. Lebt wohl!«
»Wir werden uns wohl kaum wiedersehen. Lebt wohl!« Ihre Augen waren feucht, ihr Blick trotzig, und ihre Hände hatte sie in den Falten ihres Rockes zu Fäusten geballt.
Das Pferd trabte an, und sie rief ihm hinterher: »Versucht, den Krieg zu überleben, und wechselt das Wasser in Eurem Beutel möglichst rasch. Es war schon recht abgestanden.«
Er hob den Arm, sah sich aber nicht mehr um, und Juna spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Das erste Mal in ihrem Leben weinte sie. Dieser dämliche Hauptmann hatte ihr tatsächlich beigebracht, was Trauer war, und allein dafür hasste sie ihn. Sie sah ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war, und unterdrückte den Wunsch, ihn zurückzurufen.
Marlena trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Lass dich nicht von vorübergehenden Gefühlen verwirren, Kind. Am Ende unseres Weges erwartet uns unvorstellbare Macht. Nichts von dem, was du wirklich willst, könnte der Junge dir bieten.«
Juna nickte bedächtig. »So wird es wohl sein.«
Gewaltsam riss sie ihren Blick von der kleiner werdenden Gestalt am Horizont los und ging ins Haus.
Ihre Großmutter folgte ihr mit besorgter Miene.
Die Hexentochter raffte sofort wild entschlossen das Bettzeug von Dereas Lager zusammen und starrte auf den Strohsack. Eine kleine blaue Waldblume lag darauf, und der Ring des Hauptmanns mit dem Siegel von El’Maran steckte am Stengel.
Sie ließ die Wäsche fallen und griff mit bebenden Fingern nach dem kleinen Geschenk. Ohne nachzudenken, legte sie den Ring an und strich darüber. Erneut traten ihr Tränen in die Augen, während sie noch einmal Dereas Liebeserklärung hörte und seine Augen vor sich sah.
Die Stimme Marlenas holte sie in die Wirklichkeit zurück, und hastig ließ sie Ring und Blüte in ihrem Ausschnitt verschwinden und antwortete: »Ja, es wird eine angenehme Abwechslung sein, heute Nacht nicht im Stall zu schlafen. Wann kommt denn unser Besuch?«
»Ist schon da.« Die Tür wurde aufgestoßen, Ayala fegte herein und zupfte letzte Strohhalme aus ihrem Haar. »Marlena, kannst du mir sagen, warum auf dem Portalstein ein Heuhaufen liegt?«
Die Alte ging ihr entgegen. »Wir können ihn nicht benutzen, und außer dir weiß keiner von ihm.« Ihre Stimme wurde leicht vorwurfsvoll. »Deine Besuche sind in letzter Zeit so selten geworden, dass ich den Stein fast vergessen habe. Außerdem haben Juna und ich im Stall geschlafen.«
Die Königin umarmte Marlena herzlich. »Meine liebste Freundin, schelte mich nicht deswegen! Es gibt nur so viele Neuigkeiten und daher so viel zu bedenken und zu tun. Wir haben diese Hütte einst hier errichtet, damit ich dich möglichst oft besuchen kann, und bald wird es wieder wie früher sein, und wir werden viel Zeit miteinander verbringen und unser Wissen austauschen. Ich freue mich wirklich, dich zu sehen, aber du hättest deine Zähne wirklich besser pflegen sollen. Es sieht einfach schrecklich aus. Ich habe dir doch Reiskraut dafür gegeben.«
Marlena zuckte die Schultern. »In meinem Alter mag man nicht mehr auf Gräsern herumnagen. Ich hatte dich nach deiner Nachricht erst morgen erwartet.«
»Es war gerade Zeit, und ich dachte, ich könnte den Besuch etwas ausdehnen. Es gibt schließlich viel zu besprechen. Lief alles gut?«
Bei ihren Worten umarmte sie bereits Juna.
Die Alte nickte. »Sicher! Wärst du nur etwas früher gekommen, wärst du allerdings noch über ihn gestolpert. Er konnte sich nicht recht von Juna losreißen, steht völlig in ihrem Bann.«
Die beiden Frauen lachten.
»Wer könnte ihr auch auf Dauer wiederstehen?«, fragte die Nebelkönigin. »Das Talent, Herzen zu brechen, hat sie von ihrer Mutter. Es läuft alles wie geplant und zum Teil sogar noch sehr viel besser, als ich jemals zu hoffen gewagt hätte. Stellt euch vor, meine geliebte Tochter ist zu mir zurückgekehrt.«
Sie erzählte den Frauen von der letzten Entwicklung der Dinge. »Ist das nicht erfreulich?«, schloss sie strahlend ihren Bericht. »Jetzt wissen wir endlich mit Bestimmtheit, dass das vierte Siegel in der Quelle ist. Caitlins habe ich bereits, und der Prinz wird sich sicher beeilen, mir die zwei Fehlenden zu bringen, wenn ich ihm mit dem Tod seiner Frau drohe. Die Götterkette wird wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen und uns die Unsterblichkeit bringen.«
Sie ergriff jeweils eine Hand der Frauen und strahlte sie an. »Meine Lieben, bald ist es so
Weitere Kostenlose Bücher