Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Scheiterhaufen konnte ihn nicht vernichten. Er ist kein gewöhnlicher Sterblicher, und du weißt längst, dass ich die Wahrheit spreche.«
Derea konnte nichts sagen, kam sich plötzlich leer und ausgebrannt vor. Er dachte an Ligurius’ Worte und an Gideons Erzählungen von Rhonans unglaublichen Fähigkeiten, und er sah ihn vor sich, wie er gegen jede Überzahl von Feinden bestand und wie er Fürst Marcos den Kopf abschlug. Aber er dachte auch an seinen eigenen Kampf gegen ihn und das Gespräch im Anschluss daran, er dachte an die Sorge und Opferbereitschaft, die sein Schwager und Freund an den Tag legte, wenn es um seine Begleiter ging. Er sah hoch und begegnete Junas Blick.
»Ich weiß, woran Ihr denkt. Außer Euch habe ich noch nie jemanden kennengelernt, der einen solchen Edelmut an den Tag legt, aber ohne die kleine Priesterin hätte er nach dem Fürsten auch noch dessen Frau erbarmungslos abgeschlachtet. Euer Freund befindet sich im Wandel, und sein Schwert macht ihn nahezu unbesiegbar. Wer sollte ihn jemals aufhalten, wenn Caitlin einmal nicht zur Stelle ist?«
»Redet nicht!«, forderte er unwirsch. »Euch ist doch nur daran gelegen, dass Camora den Sieg davonträgt.«
Sie lachte höhnisch auf. »Wie gut Ihr mich doch zu kennen glaubt. Aber Ihr irrt Euch. Ich werde nicht zu den Horden zurückkehren. Hier war einmal mein Zuhause, hier werde ich bleiben. Euer Krieg kümmert mich nicht mehr. Zu ungewiss ist mittlerweile Camoras Sieg, als dass ich weiter auf ihn setzen würde, und Eure Sache ist genauso verloren. Ich hänge zu sehr an meinem Leben und an meiner Freiheit, als dass ich mich in diesen Kampf einmischen würde. Ihr wolltet unlängst wissen, wie es mit Euch weitergeht. Ihr sollt es erfahren. Großmutter hat ein Pferd für Euch aufgetrieben. Sobald Ihr in der Lage dazu seid, könnt Ihr nach Mar’Elch reiten, oder wo immer Ihr auch hinwollt. Kämpft Euren sinnlosen Krieg und sterbt, oder lebt, bis Ihr in einem anderen noch sinnloseren Krieg sterbt. Frieden werdet Ihr nämlich weder unter Camora noch unter dem Erben da’Kandars jemals finden.«
Derea fand in dieser Nacht lange keinen Schlaf. Viel zu lange war er neben Rhonan geritten, um zu glauben, was die Hexen ihm hatten vermitteln wollen. Gleichgültig, wer oder was der Prinz auch immer war, böse war er jedenfalls nicht. Weder der General noch Juna wären in diesem Fall noch am Leben. Erneut sah er sich in dunkler Nacht neben Rhonan sitzen. Wütend schlug er mit der Hand auf die Decke und knurrte: »Alles Lüge! Hexenzauber! Ich stehe nicht nur meinetwegen und wegen meines Vaters in deiner Schuld, ich bin und bleibe dein Freund und werde dir immer vertrauen!«
Wild entschlossen nickte er und drehte sich auf die Seite, um endlich zu schlafen. Bisher hatte er sich schließlich immer auf seine gute Menschenkenntnis verlassen können. »Oder auch nicht«, murmelte er müde. Doch diesmal dachte er gar nicht an den Prinzen.
Die Abreise war vorbereitet. Derea bedankte sich bei Marlena und verließ, begleitet von Juna, die Hütte.
Es versprach, ein schöner, warmer Tag zu werden. Die Wolken am Himmel konnte er an einer Hand abzählen, und da es in der Nacht geregnet hatte, war die Luft frisch und klar. Missmutig betrachtete er das stämmige, gescheckte Pferd. Zu Patras war es wahrlich kein Vergleich, aber es war immer noch besser, als laufen zu müssen. Er verstaute einige Nahrungsmittel in den Satteltaschen und fühlte sich plötzlich seltsam leer. Langsam drehte er sich um und sah die Hexentochter an, deren schwarzes Haar gegen die Sonne betrachtet einen bläulichen Schimmer hatte und deren kristallblaue Augen glänzten. »Kommt mit mir, Juna!«
Sie blickte ihn zunächst überrascht an, warf dann ihre Haare zurück und lachte auf. »Warum sollte ich das tun?«
»Weil Ihr nicht dafür geschaffen seid, in einer einsamen Waldhütte zu hausen.«
»Ach, nein? Wofür bin ich denn Eurer Meinung nach geschaffen? Für den Scheiterhaufen? Oder wollt Ihr mir etwa Euren starken Arm als Schutz anbieten?«
»Ich würde ihn Euch anbieten, wenn ich der Ansicht wäre, dass Ihr ihn benötigt.« Seine Stimme war nach wie vor ernst. »Die Freien Reiche werden ihren Kampf gewinnen. In Mar’Elch wärt Ihr willkommen. Ihr könntet dort ein neues Leben beginnen.«
Erneut perlte ihr Lachen auf. »Warum sollte ich das wollen, wenn mir mein altes Leben doch so gut gefällt? Gebt Euch nicht dem Irrglauben hin, ein paar Tage in Eurer Gesellschaft hätten mich zu
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