Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
sich auf ihre Schultern und drehten sie herum. Augenblicklich fand sie sich in Canons fester Umarmung wieder und spürte seine Lippen auf ihren. Viel zu lange hatten sie auf diesen Augenblick gewartet, um jetzt noch zurückhaltend zu sein. Wie Ertrinkende klammerten sie sich aneinander und tauschten wilde, leidenschaftliche Küsse. Erst, als beide schon ziemlich zerzaust und atemlos waren, ließen sie voneinander ab, und Hylia schmiegte sich mit einem tiefen Seufzer an seine Schulter. »Du ahnst nicht, wie sehr ich mich danach gesehnt habe.«
Canon hob mit einem Finger ihr Kinn ein bisschen an, so dass sie ihn ansehen musste. »Nicht mehr als ich! Es gab kaum einen Tag, an dem ich nicht an dich dachte, und es gab kaum einen Traum, in dem du nicht vorkamst. Hättest du damals auch nur angedeutet, dass du ähnlich fühltest wie ich, ich hätte dich längst geholt, und wenn ich dich dafür hätte entführen müssen.«
Seine Worte wärmten mehr als seine Umarmung. »Was hätte ich denn sagen sollen? Ich war Priesterin, und du warst an Milena gebunden«, gab sie leise zu bedenken, aber er lachte kurz auf. »Ich bin zur Ehrlichkeit erzogen worden und versuche, mich, so weit es geht, daran zu halten. Daher habe ich ihr seinerzeit sofort gesagt, dass ich mich in dich verliebt hatte. Sie hat darauf erwidert, dass du Priesterin seiest und daher für mich unerreichbar. Mit einer anderen Frau in meinen Träumen glaubte sie leben zu können, wenn sie dafür hätte alles andere mit mir teilen können. Hätten wir uns jemals verbunden, wäre es zumindest für mich nur noch eine reine Vernunftehe gewesen.«
Hylia sah ihn erstaunt an. »Sie hat dir nichts bedeutet?«
»Doch, aber längst nicht so viel wie du! Als du damals ohne jeden Abschied gingst, glaubte ich, dich für immer verloren zu haben. Das schmerzte mehr als Milenas Tod.«
Diese Aussage verlangte geradezu nach einem weiteren Kuss, dem sich beide auch sofort mit großer Hingabe widmeten. Hylias sanfte Augen leuchteten im Anschluss daran, und Canon lächelte sie liebevoll an. »Da ich dich nicht für schamlos halte, beantwortet dein Verhalten meine Frage eigentlich schon, ob du meine Frau werden willst. Doch bevor du dich endgültig entscheidest, solltest du wissen, dass ich in diesem Fall darauf bestehen würde, dass du mich nie mehr anlügst oder meinen Wünschen zuwiderhandelst. Ich bin nicht wie Rhonan. Als meine Frau würdest du mir unbedingten Gehorsam schulden. Ist dir das klar?«
»Ja, Canon«, hauchte sie glücklich und fuhr zärtlich mit den Fingern durch seine Haare.
»Du wirst niemals mehr etwas tun, was dich in Gefahr bringen könnte?«
»Nein, Canon!«
»Du wirst dich meinen Anweisungen immer beugen, gleichgültig, wie du darüber denkst?«
»Ja!«
»Nie wieder wirst du eigenmächtig handeln?«
»Nein!«
Ein leises Lachen entfuhr ihm. »Du lügst mich ja schon wieder an, Priesterin.«
»Ja, Canon, aber noch sind wir ja nicht verbunden.«
Jetzt war ihr Gesichtsausdruck nur noch als schelmisch zu bezeichnen, und er schüttelte belustigt den Kopf, bevor er mit ernster Stimme bat: »Bleib bitte hier, morgen! Mir zuliebe. Ich will dich nicht in die Schlacht mitnehmen.«
»Wenn du bleibst, bleibe ich auch.«
»Du weißt, dass du jetzt Unsinn redest. Ich kann nicht bleiben. Hylia, endlich habe ich dich bei mir. Ich will dich nicht wieder verlieren.«
Sanft strich sie über die Narbe auf seiner Wange und den immer noch sichtbaren Abdruck des Seils an seinem Hals. »Was macht euch Männer eigentlich glauben, dass nur ihr immer für uns kämpfen dürft? Du hast es bestimmt als selbstverständlich hingenommen, dass Rhonan zu Caitlins Rettung eilte, aber wenn sie jetzt dasselbe für ihren Mann tun will, versuchst du, es ihr auszureden, und sprichst von Unvernunft und Dummheit. Ich soll morgen bleiben, weil du Angst um mich hast, aber du wirst natürlich gehen, gleichgültig, welche Angst ich deinetwegen ausstehen müsste. Nein, so geht es nicht, Canon. Du wirst es bei der Schlacht erleben: Nicht wir benötigen euren Schutz, sondern ihr den unseren. Wir können uns gegen Magie wehren, ihr nicht. Nur gemeinsam werden wir siegreich sein können. Du bist Feldherr, und ich bin eine Nebelfrau. Mir wäre es auch lieber, du wärst ein Bauer und ich deine Bäuerin, aber so ist es nun einmal nicht. Ich habe unendlich lange auf dich gewartet. Wenn ich jetzt morgen auch noch eine Schlacht gewinnen muss, um dich endlich für mich zu haben, dann werde ich auch das
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