Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
noch tun. Küss mich noch einmal, Canon! Ich möchte an dich denken, wenn ich gleich einschlafe.« Erwartungsvoll sah sie hoch in sein Gesicht. Er strich ihr zärtlich über den Rücken, sah den Widerschein des Kaminfeuers in ihren Augen und zog die Spangen aus ihrem Knoten. Ihr rehbraunes Haar fiel weit über die Schultern. Seine Finger spielten mit den seidigen Strähnen, und er blickte sie mit unübersehbarem Verlangen an. »Ich hätte da noch einen Vorschlag, wie du ganz sicher an mich denkst, während du in den Schlaf hinübergleitest. Dazu müsstest du mich nur mit auf dein Zimmer nehmen. Meine …«
»Canon! Canon, wo bist du? Ich habe doch eben noch deine Stimme gehört. Weißt du, wo Derea ist?« Morwenas Stimme hallte durch die Hallen.
»Irgendwann erwürge ich ihn«, stöhnte er und sackte leicht zusammen.
Hylia presste sich leise lachend an ihn. »Ich wollte heute ohnehin bei Caitlin schlafen. Die arme Kleine leidet mehr, als sie es sich ansehen lässt. Schließlich muss sie morgen gegen ihre Mutter kämpfen, um ihren Mann zu retten. Schnell, küss mich, bevor …«
Derea hatte Juna endlich in einer dunklen Ecke des Burghofs entdeckt, wo sie versonnen Wasser einer Pferdetränke durch ihre Hände rinnen ließ und mit den Tropfen das Spiegelbild des Mondes auf der Wasseroberfläche kräuselte.
»Könnt Ihr auch keinen Schlaf finden?«
Sie sah hoch und seufzte. »Nach so viel netter und vor allem lauter Unterhaltung benötigte ich noch etwas Ruhe.«
»Hat Euch das Umwerben zahlreicher Flammenreiter etwa nicht gefallen? Ich hatte eher den Eindruck, dass Ihr die Aufmerksamkeit sehr genossen habt.«
»Es war ganz nett, aber irgendwann auch langweilig. Sie sagen mir alle nur immer wieder, wie schön ich bin, aber das weiß ich selbst.« Sie legte die Hand auf den Mund und unterdrückte offensichtlich nur mühsam ein Gähnen.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Ihr empfindet wirklich schnell Überdruss, nicht wahr?«
»Ja, sehr schnell!«
»Dann wäre das unendliche Leben, das Ayala anstrebt, wohl nichts für Euch«, vermutete er mit humorvollem Unterton.
»Warum nicht? Mit genügend Abwechslung«, gab sie ernst zurück. »Eigentlich finde ich die Vorstellung, ewig zu leben, sogar unwiderstehlich. Stellt Euch vor, was man alles entdecken könnte, wenn man mehr als ein Menschenalter zur Verfügung hätte. Reizt der Gedanke Euch etwa nicht?«
Seine Antwort kam sehr schnell und bestimmt. »Nein! Allein der Gedanke, dass alle, die ich liebe, dann vor mir sterben würden, verursacht mir eine Gänsehaut. Ich würde mich gar nicht verlieben wollen, wenn ich ganz sicher wüsste, ich müsste meine Liebe unweigerlich irgendwann den Göttern überlassen. Nein, unendliches Leben kann doch nur in Einsamkeit enden, und diesen Gedanken finde ich erschreckend.«
»Ihr seid ein unbelehrbarer Träumer, was die Liebe betrifft, nicht wahr Hauptmann?« Ihre Augen funkelten, und ihre Stimme klang rauchig.
Erst jetzt bemerkte er die Wassertropfen, die auf ihrem Hals und in ihrem Ausschnitt glitzerten, schluckte unwillkürlich und fragte unvermittelt: »Was macht Ihr eigentlich hier, so weit weg von Eurem geliebten Zuhause?«
Sie lachte wegen seiner Gedankensprünge erheitert auf. »Mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, Heerführer!«
»Liebenswert wie eh und je. Warum wollt Ihr mir nicht sagen, was Euch doch noch dazu bewogen hat, am Krieg teilzunehmen und zu uns zu kommen, Juna?«
Seine dunkle Stimme und sein ernster Blick verursachten jetzt ihr eine Gänsehaut. Sie schlug die Augen nieder, seufzte tief und hauchte mit samtweicher Stimme: »Könnt Ihr Euch das nicht denken? Oh, wie recht Ihr doch hattet. Ihr habt mir so gefehlt. Ohne Euch waren meine Tage und Nächte unendlich lang und unerträglich leer. Ich wollte nicht und habe mich verzweifelt dagegen gewehrt, aber ich musste einfach zu Euch kommen, … in Euer Heim, … zu Eurem Herzen.«
Sie wartete darauf, dass er sie in den Arm nehmen würde, aber er bewegte sich nicht von der Stelle. Sie sah wieder hoch, lachte hell auf, und ihre Augen sprühten Funken. »Wie schade! Ihr seid nicht darauf hereingefallen, dabei war ich doch so geschickt. Wollt Ihr mich wirklich nicht küssen? Ihr habt es schon getan – damals im Fieberwahn. Es war so heiß und hat mir gut gefallen. Kein Mann, den ich kennengelernt habe, konnte auch nur annähernd so gut küssen wie Ihr. Sollen wir nicht einmal sehen, ob es auch so schön ist, wenn Ihr bei klarem Verstand seid?
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