Das vierte Skalpell
lamentierte, daß es in Preußen so lange Lackln gäbe.
Ich sagte, nur mit deren Hilfe hätten die Kriege gegen die Alpenvölker gewonnen
werden können.
Anschließend machte ich mich auf meine
Vorstellungstour. Keine einfache Angelegenheit, wie sich herausstellte. Ich
lief durch endlose Gänge und über bohnerwachsduftende Treppen und nickte
herablassend, wenn man meinen weißen Mantel grüßte.
Ich antichambrierte wie ein
stellungsloser Bonbonvertreter und hatte viel Zeit, die Sekretärinnen der
einzelnen Chefs miteinander zu vergleichen. Sie gaben alle viel Geld für den
Friseur aus, teilweise ohne Erfolg. Ihre Brötchengeber hatten trotz des
Notstandes in der Medizin durchweg beachtliches Lebendgewicht. Als Vertreter
der notleidenden Ärzteschaft waren sie nicht mehr zu gebrauchen. Sie begrüßten
mich freundlich und in Eile, und ich tat bei jedem so, als hätte ich schon von
ihm gehört.
Chef der Chirurgie war Professor
Stickhahn, und zu ihm lief ich umsonst.
»Verreist«, sagte seine Vorzimmerdame.
»In acht Tagen kommt er zurück.«
»Dann tue ich das auch«, sagte ich.
»Oberarzt Steimle — wo wohnt der?«
»Vier Türen weiter nach rechts. Kann
allerdings sein, daß er jetzt auf Visite ist.«
Er war es nicht. Auf mein Klopfen kam
ein scharfes »Ja!« hinter der Tür hervor. Steimle war der erste, der mager war,
und der erste, der mich ohne jedes Wohlwollen begrüßte.
Er sah aus wie Savomarola, genauso
fanatisch und genauso verwundert. Er trug eine Brille, und seine Augen dahinter
waren starr und hell. Er betrachtete mich wie ein Operationspräparat.
Die Einrichtung bestand im wesentlichen
aus Schreibtisch, Büchern und Zeitschriften. An den Wänden hingen ernste, alte
Herren in Weiß. Bilder von Mädchen und leere Flaschen waren nicht zu sehen.
Eine Handbewegung zwang mich auf den
Stuhl.
»Neuer Röntgenologe?«
»Ja.«
»Die Leute mit der kurzen Dienstzeit«,
sagte er. »Nachmittags nur vereinzelt anzutreffen.«
»Da kommt einem der Durst«, grinste
ich.
»Dann hätten Sie Bierzapfer im
Hofbräuhaus werden sollen«, sagte er scharf. Schien keinen Spaß zu verstehen
und Antialkoholiker zu sein, der Gute. Und das in München. Ich hatte eine
Antwort parat, aber ich behielt sie für mich und hörte auf zu grinsen.
»Wo waren Sie vorher?«
Ich nannte ihm die letzte Station
meiner glorreichen Laufbahn. Er horchte auf.
»Warum sind Sie nicht dort geblieben?«
Wäre er ein anderer gewesen, hätte ich
ihm erzählt, daß ich die dortigen Kneipen schon durch hätte und auch gern
wüßte, wie hier die Mädchen seien. So verzichtete ich darauf. Er würde es doch
nicht verstanden haben.
»Ich wollte mal in ein anderes Haus«,
sagte ich lahm. »Immer dieselbe Schule...«
»Sie hätten dort für Ihre Ausbildung
mehr profitiert«, sagte er knarrend. Geringschätzung der hiesigen
Röntgenabteilung war das wenigste, was man heraushören konnte.
»Möglich«, antwortete ich, »aber bisher
habe ich meine Ausbildung immer nach meinem Leben eingerichtet und nicht
umgekehrt.«
Einen Augenblick lang sah er mich starr
an, und ich hatte den Eindruck, als hätte er derartiges noch nie in diesen
Mauern vernommen. Hörte man wohl auch selten von einem deutschen Assistenten.
»Wissenschaftlich gearbeitet?«
»Nicht viel«, antwortete ich
treuherzig. »Eine kleine Sache im Röntgenjournal. Knochenmißbildung. Ein Fall
von und so. Auf den Nobelpreis warte ich noch.«
Seine Augen glitzerten hinter der
Brille.
»Sie werden wohl noch länger warten
müssen. Ich kenne die Arbeit. Habe den Eindruck, daß Sie sich nicht genügend
mit der einschlägigen Literatur beschäftigt haben.«
Da hatte er durchaus den richtigen
Eindruck. Bevor ich eine Antwort draußen hatte, stand er auf.
»Ich danke Ihnen, Herr Kollege!« i
Ende der Durchsage, dachte ich. Ich
vollführte eine Art Verbeugung. »Wiedersehen, Herr Oberarzt!«
Im Rücken fühlte ich seinen starren
Blick, ehe ich die Tür hinter mir schloß. Der Ärger stieg in mir hoch, und mein
Gesicht wurde heiß.
Später sah ich, daß fast jeder, der aus
diesem Zimmer kam, eine rote Birne hatte.
*
Übrig blieben der Amtmann und die
Oberin.
Der erstere hielt einen längeren
Vortrag über den ungenügenden Etat der städtischen Krankenanstalten. Nicht
zuletzt dank seiner Initiative, wie er sich in aller Bescheidenheit zu bemerken
erlaube, würde jetzt eine Änderung eintreten. Außerdem sei es stets hehrstes
Ziel der Verwaltung gewesen, mit der Ärzteschaft gut
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