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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Kurtchen!«
    »Na, Herr Thomsen«, fragte Oberarzt
Lund, »wie fühlen Sie sich?«
    »Ausgezeichnet.«
    »Kommen Sie mit Fräulein Jacobs aus?«
    »Bestens. Sie arbeitet prima, und sie
weidet mein Auge.«
    Süßmilch warf einen schnellen Blick zu
mir herüber. Zum erstenmal bemerkte ich, daß er schiefe Augen hatte. Meine
Reden mißfielen ihm, und ich ihm auch.
    Als letzter von unserer Gilde erschien
Bolerus und setzte sich zu uns. Seine Umrisse hatte ich schon am Vormittag im
verdunkelten Lungenraum gesehen. Er war klein, lebhaft und hatte flinke Augen.
Wie ein hungriger Iltis.
    Während des Essens bemerkte ich
Eheringe an den Händen meiner Mitkämpfer und freute mich darüber. So waren sie
bei einem Wettlauf um Evelyn doch etwas behindert.
    Der Ober redete die ganze Zeit nur vom
Röntgen. Süßmilch hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu, und ich tat so.
Alle ringsum erzählten sie von ihren Fällen und wie interessant sie wären. Der
Oberarzt entpuppte sich als großer Organisator. Wenn es nach ihm gegangen wäre,
hätten wir wahrscheinlich schon ein Institut von der Flächenausdehnung des
Saargebietes gehabt und einen Etat wie die amerikanische Luftwaffe.
    Ich quetschte meine letzte Kartoffel
mit der Soße zusammen, als hinter mir die Tür aufging. Für einen Augenblick
erlahmte das Geklapper der Bestecke — so, wie inmitten eines Unwetters
plötzlich der Sturm aussetzt.
    Ein paar hoben den Blick, und ein paar
ließen ihn auf dem Teller. Ich schielte zur Seite.
    Oberarzt Steimle von der Chirurgie kam.
Er nickte kurz und sagte »Mahlzeit«. Als er sich gesetzt hatte, klapperten die
Bestecke wie vorher. Aber ich hatte das Gefühl, daß die Mehrzahl der Anwesenden
den Mann haßte, dem ich mich gestern vorgestellt hatte.
     
    *
     
    Am Nachmittag bestaunte ich unser
Filmarchiv, wie es der Oberarzt empfohlen hatte. Es lag im Keller, hinter einer
von vielen Türen, die von einem endlosen Gang abgingen. Die Luft hier unten war
heiß und trocken, eine günstige Atmosphäre für die Kantine. Nur ein paar Räume
trennten sie vom Archiv, deswegen fand ich sie noch schneller als gewöhnlich.
Der Mann hinter dem Schalterfenster sah aus wie ein Invalide von 1870. Ich
setzte mich und hatte gerade die zweite Flasche am Hals, als Ruschke ein trat.
    Er kaufte sich ein Bier und kam an meinen
Tisch.
    »Jestattet?«
    »Klar«, sagte ich.
    »Is die Zeit, wo ick meine Tropfen
nehmen muß«, sagte er.
    Wir hoben die Gefäße. Sein Zug war aus
keinem schlechten Hause.
    »Na, wie jefällt Ihn’ det
Etablissemang?« fragte er, als wir die Handrücken über die Lippen gezogen
hatten.
    »Danke. Habe schon miesere Läden
gesehen.«
    »Am Anfang sieht alles rosig aus«,
sagte Ruschke und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
    »Wie lange sind Sie hier?« fragte ich.
    »Ick gehöre schon zur Einrichtung. An
de zwölf Jahre wern et sin. Hat’ schon manche Stille mitjemacht und ‘n Sturm
hintaher ooch.«
    »Chirurgie wäre mir zu anstrengend«,
sagte ich.
    »Hamse recht. Früh raus und ‘n janzen Tag
rumstehen, immer mit Äther unter de Neese. Eh Se ‘n ersten Blinddarm machen
dürfen, ham Se ‘n Vollbart, und eh Se zum Magen komm’ Plattbeene un
Hämorrhoiden. Denn setzt Ihn’ der Chef persönlich de Blutejel an ‘n Hintern.
Nee, nee, da sin’ Se in de Strahlenbude bessa dran.«
    Er nahm einen Schluck, und ich folgte
seinem Beispiel.
    »Da hat sich noch keena dodjemacht«,
fuhr er fort. »Wenn ‘t um Zwölfe ist, erzähln se wat von Oochen ibaanstrengt un
Sauastoffmangel un Strahlenschädijung un kratzen de Kurve. Wenn uff die Bilda
nischt druff is, hat es sich eben nich darjestellt un muß wiedaholt wern. Denn
sitzen se nachmittachs davor, un jeda sieht wat änderet. Un denn stellen se
fest, det det nur durch Schpezialuffnahmen zu klärn wäre. Die machen se denn,
un jeklärt wird nischt. Un wenn se jar nich mehr weitawissn, denn sajen se, det
se dem Patienten keene weitere Strahlenbelastung mehr zumutn kenntn. Nur bei
Private, da is et anders. Die vatraren zweehundatfuffzich Uffnahmen
hinaeenanda, wenn et sin kann.« Er sah mich bedauernd an. »Aba da ham Sie ja
nischt von.«
    »Kaum«, sagte ich. »Oberarzt Steimle
scheint nicht der einzige zu sein, der nichts vom Röntgen hält.«
    »Der schon jar nich. Jibt ibahaupt
nicht viel, wovon der wat hält. Aba er kann wat. Det kann man nich von jeden
behaupten, der hier det Messa schwingt.«
    In Ruschkes Stimme war etwas
Feindliches, und er starrte ein paar Sekunden auf die

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