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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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sicherzugehen, dass ich die richtige Unterwäsche und eine neue Armbanduhr hatte, aber dann sah ich in den Nachrichten die Geschichte von einem Soldaten, der von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt worden war wie ein Knallbonbon, und da bekam ich Angst.
    Kurz nachdem ich das Bild des gesprengten Soldaten gesehen hatte, fing ich an, mit den Fingern ständig unterm Kinn zu schnipsen, um das Grauen zu vergraulen. Früher hatte ich das auch schon gemacht, jetzt aber seit Jahren nicht mehr. Mein Vater war sauer, weil er es satt hatte, in meinem Kinderbett zu schlafen. Er sagte, seine Beine wären zu lang, und außerdem wäre es nicht fair. Meine Mutter sagte, es wäre fair, weil ich ihre älteste Tochter wäre, und sie mich all die Jahre großgezogen hätte, und jetzt wäre ich eben achtzehn und würde bald zur Armee gehen. Dann gab mein Vater nach, weil er sie immer geliebt hatte. Das war ein Problem.
    »Hey, Yael«, sagte sie, als wir beide in ihrem Bett lagen. »Sag, dass du zur Luftwaffe willst.«
    »Ich will aber nicht zur Luftwaffe«, flüsterte ich. »Mama, ich will keine Soldatin werden. Ich glaube, ich habe wieder Ängste.«
    »Sag, dass du zur Flugsicherungsleitung willst.«
    »Aber ich weiß schon, dass ich zur Infanterie komme. Das steht auf dem Einberufungsbescheid. In der Infanterie gibt es keine Flugsicherungsleitung. Man muss keinen Flugraum sichern.«
    Meine Mutter hörte nicht zu. Ich weiß bis heute nicht, ob sie glaubte, was sie sagte. »Sag, dass du zur Flugsicherungsleitung in Scharm El-Scheich willst. Sag Sinai.«
    »Aber Mama. Ich könnte gar keine Flugsicherungsleiterin werden. Ich bin viel zu zappelig, um den ganzen Tag dazusitzen und zu warten.«
    »Du solltest darum bitten, dass du zur Flugsicherungsleitung nach Scharm El-Scheich willst. Für ein Mädchen ist das der beste Job in der ganzen Armee.«
    »In Scharm El-Scheich gibt es keine israelischen Soldaten mehr. Da gibt es keinen Stützpunkt mehr. Wir haben das alles doch an Ägypten zurückgegeben.«
    Meine Mutter fuhr mir mit dem Finger über den Nasenrücken. Und noch mal. »Ja. Wir haben das vor deiner Geburt zurückgegeben«, sagte sie.
    Sie sagte Sachen, von denen sie wusste, dass sie unmöglich waren, so, als wären sie für sie doch möglich.

    Noch an dem Tag, als sie eingezogen wurde, marschierte meine Mutter ins Büro des Einplaners und verlangte, zur Flugsicherungsleitung zu kommen. Der Offizier lachte. Er lachte, weil sie dunkle Haut, einen jemenitischen Namen und eine gebrochene Nase hatte. Sie war gebrochen gewachsen wie eine Katastrophe oder wie die Buntstiftzeichnung eines kleinen Kindes. Sie hatte sie sich als Kind gebrochen, als sie eines Abends hinten vom Milchwagen gefallen war.
    Sie wusste damals nicht, dass das Gewünschte unmöglich war. Sie fragte ihre große Schwester, welchen Wunsch sie beim Einplaner angeben solle, und ihre große Schwester lachte. Sie wusste, dass es den Einplaner nicht juckte, was sie sich wünschte. Ihre große Schwester hatte Lust, noch etwas weiterzulachen. Sie lachte eigentlich nicht viel. Sie war Armeesekretärin. Sie riet meiner Mutter, sie solle verlangen, zur Flugsicherungsleitung zu kommen.
    Luftwaffenstützpunkte hatten damals noch ihre eigenen Theater und Kegelbahnen. Attraktionen, die meine Mutter im ganzen Leben noch nicht gesehen hatte. Weibliche Angehörige der Luftwaffe waren Töchter von Politikern und Berufsmilitärs. Flugsicherungsleiterinnen waren die Töchter von Kampffliegern, die später in die Politik gingen. Der Vater meiner Mutter kaufte jede Woche ein Lotterielos und versprach, meine Großmutter zur Königin zu machen, aber vorläufig arbeitete er vierzig Jahre lang als Fahrdienstleiter bei der einzigen Busgesellschaft von Israel. Er war einfach ein vorhersehbarer Mann mit vorhersehbaren Ambitionen. Er starb im Jahr meiner Geburt, nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass er seine gesamten Ersparnisse an der Börse verloren hatte. Entweder brachte er sich um, oder er hatte einen Herzinfarkt; in jedem Fall starb er an etwas Vorhersehbarem.
    Die Reaktion des Einplaners auf das Ansinnen meiner Mutter war alles andere als vorhersehbar. Er lachte einmal. Er lachte zweimal. Sie wollte wissen, warum er lache, und er lachte wieder.
    »Sie wollen zur Flugsicherungsleitung?«, fragte er.
    »Ja«, sagte meine Mutter. Sie verstand nicht. »Genau das will ich.«
    Ich habe zu viele Versionen des weiteren Gesprächsverlaufs gehört, und möchte keine davon erzählen.

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