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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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danach.

    Die Sache war, Yaels Vorschlag funktionierte. Danach kamen die Jungen nie mehr zurück.
    Mitten in der vierten Nacht schlug Avishag die Augen auf. Erhob sich von der Matratze. Öffnete die Containertür. Ging in der Dunkelheit zur Fahne. Ging in der Dunkelheit zur Einsatzzentrale. Ein Schritt, noch ein Schritt, und immer weiter. Fand eine Taschenlampe. Die funktionierte. Ging zu den Jungencontainern. Und drum herum. Einmal dachte sie, sie sähe eine andere Taschenlampe, und bekam Angst, denn wer konnte sie hören und wer würde ihr helfen? Dann war es aber nur die Reflektion ihrer eigenen Lampe in einem Neonaufkleber an der Wand. Sie spürte einen stechenden Schmerz im Bauch und erinnerte sich an die Entscheidung ihres winzigen Babys.
    Aus unerfindlichen Gründen tauchten die Wachen aus dem Artilleriezug nie auf.
    Lea wollte nicht glauben, dass es geklappt hatte. Und erst dachte sie, selbst wenn es geklappt hatte, würde es keine Rolle spielen. An dem, was kommt, würde es nichts ändern. Sie waren die Einzigen, die etwas wussten.
    In jener Nacht kehrte Avishag in den Container zurück. Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, dass die Jungen weg waren, aber sie wusste nicht, welche Bedeutung das für die nächste Minute hatte.
    Yael musste sie überzeugen.
    Als Erstes beschloss sie, dass keine von ihnen in dieser Nacht nach Hause fahren würde. Dass sie diese Nacht zusammen bewahren würden. Und dann war sie bereit, Fragen zu beantworten.
    Stundenlang diskutierten sie auf den Matratzen. Darüber, ob das, was ihnen zugestoßen war, überhaupt interessant war, und ob irgendetwas, was sie machten, überhaupt eine Rolle spielte. Ob sie eine Rolle spielten oder nicht. Als es draußen noch dunkel war und ihnen fast die Stimmen wegblieben, hatten sie auf einmal wieder Strom und diskutierten weiter.
    »Außer uns weiß sowieso keiner davon«, sagte Avishag.
    »Wird man aber. Lea wird es aufschreiben. Und irgendwann werden die Leute es glauben. Weil es wirklich passiert ist, und zwar uns«, sagte Yael.

    Am Ende war es aber nicht Lea, die die Geschichte erzählte. Niemand weiß, wer sie erzählte, und ob und wie. Wahr ist, dass die Frauen in dem beleuchteten Container in jener Nacht so gegenwärtig wirkten, dass die Wände sterben wollten.
    »Ich bin hundemüde«, sagte Yael.
    »Avishag, sollen wir heute Nacht das Licht anlassen?«, fragte Lea.
    »Nein«, sagte Avishag. »Nein, Lea. Ich möchte keine Angst mehr haben.«
    Plötzlich gingen alle Lichter aus.
    Sieben Monate später bekam Lea das Baby.

Operation Abendlicht
    Als ich achtzehn war, hat meine Mutter mich geweckt. Das machte sie, indem sie mir mit zwei Fingern auf die Wange tippte. »Yael, wach auf«, sagte sie.
    Als meine Mutter achtzehn war, riefen Flugzeuge sie über Funk an. Sie wartete drei Jahre darauf, von Flugzeugen über Funk angerufen zu werden. Wenn sie sich meldeten, gab meine Mutter den Maschinen der Luftwaffe die Landeerlaubnis. Sie brauchten eine Zwischenlandung zum Auftanken. Ihr Stützpunkt war ein Treibstoffstützpunkt. Sie warteten auf ihre Stimme. Durch die Begegnung mit den ersten Zigaretten und dem Versuch, die Jugend zu verbergen, war sie gerade rauer geworden. Ohne ihre Erlaubnis konnten die Flugzeuge nicht landen. Sie brauchten sie, wenn sie am Himmel waren und sie im Tower saß, mit dem Kuli Gesichter auf ihren dunklen Arm malte und an dreckige Witze dachte, die sie nach ihrem Schichtende den Jungen auf dem Stützpunkt erzählen konnte.
    Einmal war ein israelisches Flugzeug, das in Athen zwischengelandet war, entführt worden, und obwohl es nicht meine Mutter gewesen war, die die Geiseln befreit hatte (Mama war ein Mädchen), stimmt es doch, dass die befreiten Geiseln ohne sie keine Sandwichs bekommen hätten, als das befreite Flugzeug auf dem Nachhauseflug zum Tanken zwischenlandete. Sie sagte immer, ihr Job in der Armee wäre unwichtig gewesen, aber ich glaube, er war wichtig. Ohne Treibstoff kann ein Flugzeug nur begrenzte Zeit am Himmel kreisen. Theoretisch hätte sie einmal Nein sagen können. Sie hätte immer Nein sagen können, aber das hat sie nie getan, sie hat in ihrem Leben nie Nein gesagt. Viele Menschen hätten ihretwegen sterben können. Sie war achtzehn, als sie an den Strand kam.

    Ich wachte auf, als meine Mutter mir mit zwei Fingern auf die Wange tippte.
    Mit achtzehn Jahren schlief ich in ihrem Bett, weil ich Angst vor der Zukunft hatte. Ich dachte nicht oft daran, dass ich bald zur Armee gehen würde, außer um

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