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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Körper hatte sie dazu gezwungen – und schämte sich so sehr, dass Avishag irgendwann damit anfing zu behaupten, sie hätte am meisten getrunken und wolle sich dafür entschuldigen.
    Als das Licht ausfiel, hörte Avishag auf, sich zu entschuldigen, und fing an zu weinen. Sie hatte am meisten Angst vor der Dunkelheit, die dunkler war als das, was sie sah, wenn sie die Augen schloss.
    Yael beobachtete ihren eigenen Schatten; wenn sie den Kopf schief hielt, fiel der Schatten ihrer Haare an der Wand mit dem Schatten eines MGs zusammen, sodass es so aussah, als wollte das MG sich in sie verwandeln.
    Da hatte Lea einen Vorschlag. »Wisst ihr was? Wir haben Munition. Und die MGs.«
    »Wir können sie nicht erschießen. Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte Yael.
    »Wir können sie bedrohen, du kleine Hure. Du kannst uns nicht kontrollieren«, sagte Lea.
    »Das können wir nicht machen. Sie halten unsere Zukunft in ihren Körpern und Köpfen«, sagte Yael.
    »Weißt du was? Manchmal wäre es mir echt lieber, du würdest nicht so reden«, sagte Lea.
    »Mir auch«, sagte Yael.
    »Mir auch«, sagte Avishag.
    Die Mädchen waren am Verdursten. Die Waffen waren immer noch dieselfeucht. So nah, als wollten sie sie verspotten und mit Absicht mit ihnen schlafen. Die Jungen hatten das Sagen. Sie verstanden nicht warum, wussten es aber tief im Inneren. Es war nicht an den Mädchen, die Tür zu öffnen.

    Der Schweiß einer der Frauen fing an, anders zu riechen. Er roch nach Alarm.
    Avishag machte einen Vorschlag: »Wir sollten es einfach schreiben. Es sind doch bloß Steine. Jemand wird sie schon wegtragen. Es sind doch bloß Worte. Sobald wir draußen sind, rächen wir uns an den Jungen. Das wird denen noch leidtun.«
    »Nur Worte?«, fragte Lea. »Kann sein.«
    »Nur Worte?«, fragte Yael. »Nichts ist so sehr geschrieben wie etwas, das in Stein geschrieben steht.«
    »Yael«, sagte Lea.
    Und Avishag wollte weiterreden. Yael fragte sich, ob sie sie nicht doch zu sehr zum Reden ermuntert hatten.
    »Nein!«, rief Yael und jagte den beiden anderen Angst ein; Angst vor ihr und vor den Jungen, die sie vielleicht hörten. »Wir sind nicht Harry Potter. Wir bekommen keine zweite Chance. Das hier ist das hier. Wir sind nicht Jesus. Wir kriegen keine Auferstehung. Das hier ist entweder der Judenstaat, oder er ist es nicht.«
    »Yael«, sagte Lea.
    »Sei bitte ruhig«, sagte Avishag.
    »Wir müssen uns dem jetzt stellen, oder wir werden später jemanden verletzen. Die Jungen werden sich das nie verzeihen. Lea, du wirst ewig fernsehen, statt das zu tun, was du wirklich tun willst. Avishag, du wirst dich ewig entschuldigen, wenn dich jemand anrempelt. Und ich werde mich ewig hassen, weil ich so rede«, sagte Yael.
    »Du klingst bei dem Thema sehr leidenschaftlich«, sagte Lea und lächelte. Und sie weinte nicht.
    An dem Abend kamen die Jungen nur wegen Lea und später noch einmal.
    »Lea, Prinzessin«, sagte Yael, als sie die Jungen zum dritten Mal kommen hörte. »Ich weiß nicht alles. Ich bin nicht überall gewesen, weißt du noch?«
    »Mach’s oder mach’s nicht. Es gibt kein Ausprobieren«, sagte Lea.
    »Möge die Macht mit dir sein«, sagte Avishag.
    Yael spürte das Gewicht all der Wörter und Klänge, die sie je mit ihren Freundinnen geteilt hatte, als würde in diesem Augenblick ein Wasserfall in ihrem Mund tosen. Sie musste sich einen Ausweg ausdenken, und zwar schnell.

    Am vierten Morgen brachte keins der Mädchen mehr ein Wort hervor. Yael wollte etwas sehr Machtvolles sagen, eine uralte Wahrheit flüstern, aber durch den Durst bildeten sich in ihrem Rachen keine Konsonanten, und außerdem war ihr insgeheim klar, dass sie sich langsam lächerlich machte.
    Avishag bastelte Puppen aus dem Unkraut, das aus den Ritzen im Dielenboden spross. Herzen, Babys und Katzen. Einfache Gestalten, die Karikaturen ihrer Vorbilder darstellten. Sie webte, straffte und zerriss. Yael wusste nicht, wann sie damit angefangen hatte, aber am Morgen waren sechs Puppen fertig, und die siebte nahm in Avishags geschickten Händen gerade Form an.
    Als Yael das sah, nahm sie das Bambusstöckchen aus dem eingetopften Windröschen, das noch nicht dagewesen war, als die Frauen den Container erstmals betreten hatten. Mit den Zähnen bohrte sie Löcher hinein und hatte dann eine Flöte. Auf der sie spielen konnte.
    »Wenn du für mich spielst, Yael, dann lass es bitte. Das hab’ ich dir schon tausendmal gesagt. Ich bin wie Shylocks Tochter Jessica. Ich kann Musik

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